Geisterbahn hat Umsatz

■ Kritische Beobachter der Esoterik-Szene raten: „Nicht alles verdammen.“

Der Esoterik-Markt ist vor allem eine Wachstumsbranche. Gut die Hälfte der Bevölkerung glaubt, daß fernöstliche oder spirituelle Heilmethoden eine echte Alternative zur herkömmlichen Medizin bieten. Die über 20.000 AnbieterInnen im gesamten Bundesgebiet werden dieses Ergebnis einer Focus-Umfrage mit glänzenden Augen gelesen haben: Weil nur 13 Prozent der befragten Spiri-Gläubigen diese Heilkraft am eigenen Leib schon getestet haben, dürfte die Branche vor einem großen unerschlossenen KundInnenpotential stehen.

Über beide Seiten, über Anbieter und KundInnen, referierte Werner Gross, Sprecher des Berufsverbandes Deutscher Psychologen und zugleich Mitglied der Enquête-Kommission „Sekten“, gestern im Wissenschaftlichen Institut für Schulpraxis (WIS). Angelpunkt von Gross Betrachtungen war auch das Geld, um das es Anbietern zunehmend gehe: „Die Geisterbahn hat Hochkonjunktur.“ Selbst wer als Idealist begonnen hat – und das seien nicht wenige – wolle jetzt Geld verdienen. Das gelte vor allem für die, die den Beruf für die mystische Berufung an den Nagel gehängt haben. „Üblich sind 80 bis 120 Mark für 60 bis 90 Minuten Handauflegen“, weiß Gross. Doch solche Details interessierten gestern nur wenige. Rund 50 ZuhörerInnen, allesamt im besten Alter und mit solidem Angestelltengehalt zugleich Zielgruppe Nummer eins von Esotherik-Anbietern, kamen gestern zur theoretischen Tagung über den „Psycho- und Esoterikmarkt.“

Umso rasanter ist derweil die Nachfrage nach praktischen Esoterik-Angeboten außerhalb der Hörsäle: Rund 18 Milliarden Mark, die jährlich für Spiri-Therapien ausgegeben werden, sind dafür ein sicheres Indiz. Immerhin liegt dieser Umsatz ein Vielfaches über der mit 1,2 Milliarden Mark vergleichsweise mickerigen Summe, die Krankenkassen bundesweit für Therapien erstatten, „obwohl streng genommen auch im medizinischen Bereich nur bei einem Drittel aller Thearapien die Wirkungszusammenhänge wissenschaftlich nachgewiesen sind.“

Genau dieses Spannungsfeld zwischen Glaube und Wissen in Medizin, Kirche und Psychotherapie, fördere den Markt, sagt Gross. „Man muß kritisch sagen, daß viele mittlerweile anerkannte Therapien wie die Verhaltenstherapie auch mal ganz unten angefangen haben.“ Vor allem die Unseriosität der vermeintlich Seriösen sei heute Nährboden der Esoterik-Welle. Doch trotz aller Zweifel am Erfolg der menschlichen „Suche nach dem kosmischen Schauer“ gibt Gross Entwarnung: „Man darf nicht alles auf diesem Sektor als Schrott verdammen.“ Da verfügt der gelernte Journalist, der mittlerweile zum Psychologen avancierte, über eigene Erfahrung. Die Grenzen zu anerkannten Heilmethoden verlaufen fließend, betont er. Die Gefahr: die unerwünschte Nebenwirkung.

„Im harmlosesten Fall bleibt es bei der Allergie“, meint Gross. Auslöser gibt es viele; darunter die Bachblüten- oder die Ölbehandlung der Aura-Soma-Therapie. Schlimmste Spätfolge einer falschen Spiri-Behandlung seien jedoch die nicht erkannten und folglich nicht behandelten Krankheiten. Der Krebs beispielsweise, der einer Heilerin nach einer Kurzzeit-Ausbildung für 20.000 Mark ebenso entgehen könnte, wie dem Polarity-Heiler, der Kinesiologin oder dem Reinkarnationstherapeuten.

Gegen mögliche Schlappen hilft nur eins, warnt Gross: „Prüfen nach der Regel: „Je grandioser die Heilsversprechung, desto mehr Vorsicht ist geboten.“ Persönliche Entwicklung werde eben nicht mühelos durch die Zahlung von ein paar hundert Mark erreicht.

ede