Wachs-Tauchen, diesmal ohne Kerzen

■ Mathias Lanfers „Stoffwechsel“ - zu sehen in der Kunsthalle Bremerhaven

Rüstungskonversion ist angesagt in Bremerhaven. „0494 TP“, „0594 TP“, „0596 TP“ – unter solch profan-technokratischen Titeln präsentiert der Düsseldorfer Künstler Mathias Lanfer derzeit in der Kunsthalle der Seestadt skurrile „Thermoplaste“-Objekte, die wie eine Mischung aus Industrietechnik und Körperfleisch wirken und das Publikum zu den wildesten Assoziationen anregen. „Überdimensionales Zahngeschwür“, „Wirbelsäulenfragmente von Aliens“ oder Bojen, Turbinen, Geschosse und Raumschiff-Enterprise-Utensilien glaubten die Vernissage-Gäste in den ausgestellten Skulpturen zu erkennen. Dabei spielt Mathias Lanfer lediglich „einen Gedanken experimentell durch, der das skulpturale Denken und Handeln schon immer beschäftigt hat: nämlich die Synthese von Skulptur und Farbe“, so Thomas Trümper vom Vorstand der Bremerhavener Kunsthalle .

Ein Spiel, bei dem durch mehrmaliges Eintauchen von Rohrstücken und Gestängen in ein Kunststoffbad aus roter oder grüner Paraffin-Mischung ebenso groteske wie faszinierende Objekte entstehen. Die nadel- und zapfenartigen Gebilde, die in einer Art Tropf-steinmanier aus dem Zusammenspiel von Zufall und hoch technisiertem Herstellungsprozeß resultieren, wirken wie lebendig gewordene Maschinenteile, die sich einerseits als ironische Variation des „Schwerter zu Pflugscharen“-Motivs, andererseits als augenzwinkernder Kommentar zu den Roboter- und Mensch-Maschine-Visionen der Forscher auf dem Gebiet Künstlicher Intelligenz lesen lassen. Wer's noch philosophischer mag, sieht darin gar Metaphern für „den labilen Zustand unserer materiellen Dingwelt“ insgesamt, wie Armin Wildermuth in seinem Katalogbeitrag über Lanfer formuliert.

Der Künstler selber versammelt seine Werke in Bremerhaven lediglich unter dem Ausstellungstitel „Stoffwechsel“. Als Sohn eines Elektronik-Meisters haben ihn die vom Vater konstruierten Produktionsstraßen und automatischen Steuerungsprozesse industrieller Produktion immer schon fasziniert, weil sie dem Künstler ganz neue Dimensionen von Skulptur eröffnen. Deswegen erschafft er seine Werke auch meist in Zusammenarbeit mit Stahlwerken oder Fabrikationsstätten für technisches Gerät, deren industrielle Anlagen er in fröhlicher Zweckentfremdung für die Kunst bestens zu nutzen versteht.

Lanfers funktionslose Technizistik-Monster sind denn auch von solch auffälliger Absurdität, daß Ausstellungsmacher Trümper vor zwei Jahren, als er sie auf der „Art Cologne“ zum ersten Mal sah, sofort gedacht hat: Dieser junge Künstler braucht Unterstützung. Was ein lobenswertes Unterfangen ist, zumal man sich damit einen Künstler nach Bremerhaven geholt hat, der inzwischen auch einen Lehrauftrag an der renommierten Düsseldorfer Akademie inne hat. Wobei die Seestadt stolz für sich in Anspruch nehmen kann, daß sie diesen vielversprechenden Künstler zum ersten Mal in einem Museumsinstitut ausgestellt hat. Worin ein erfreuliches Gespür und ein in öffentlichen Instituten nicht eben häufig anzutreffender Mut für neue, unabgesicherte Positionen zum Ausdruck kommt – auch wenn die Präsentation eines Teils der Skulpturen auf dem unsäglichen Teppich der Kunsthalle nur unter Mobilisierung aller Vorräte an ästhetischer Toleranz zu ertragen ist.

Moritz Wecker

Mathias Lanfer, „Stoffwechsel“ in der Kunsthalle Bremerhaven, Karlsburg 4, bis 17. November. Öffnungszeiten: Di.-Fr. 14-18 Uhr, Sa. u. So. 11-13 Uhr.