Fröhliches Familiengemetzel

■ Sogo Ishii und sein Film „Die Familie mit dem rückwärtigen Düsenantrieb“ im Zeise

Katsukuni Kobayashi zählt zu den Japanern, die widerspruchslos in der U-Bahn niedergetrampelt werden, sich anschließend 14 Stunden im Büro abknechten, um sich dann allabendlich auf zigarrenschachtelgroßer Gesamtwohnfläche von verzogenen Kindern und frustrierten Gattinnen den Rest geben zu lassen. Eine aktentaschentragende Zeitbombe also, hinter deren fratzenhaftem Lächeln die kriminelle Enthemmung des ja-sagenden Kleinbürgers brodelt. Noch verspricht Katsukuni sich und seiner Familie eine rotbäckige Zukunft, wenn sie nur endlich das neue Eigenheim am Rande der Stadt bewohnen. Kaum eingezogen wird das Häuschen zur Arena des Geschlechter- und Generationenkrieges.

Der Titel des Films bezieht sich auf einen Flugzeugunglück, das vor Jahren in Japan Schlagzeilen machte. Der Pilot hatte, von plötzlichem Irrsinn befallen, bei der Landung fatalerweise den „rückwärtigen Düsenantrieb“ aktiviert. Ein Fehler, der seitdem in Japan als Inbegriff für unverhofften Wahn in den Wortschatz einging.

Sogo Ishiis erster großer Spielfilm (1984) ist nicht nur eine furiose Satire auf sinnentleerte japanische Rituale und die Unwirtlichkeit Tokios, sondern ein Abgesang auf das Freiheits- und Wohlstandsversprechen einer blühenden Exportnation. Fortschrittseuphorie und workoholische Selbstkasteiung entladen sich in anarchischer Gewalt. Und wenn der Opa seine Faschisten-Armee-Kluft wieder überstreift, die Tochter zur Ninja-Catcherin, die Mutter zur messerschwingenden Küchenamazone, der Sohn zum monströsen-Streber mutiert, ist das die bitterböse Gegen-These zu jenen Kurosawas Filmen, die wie ein trauriger Nachlaßverwalter nach Überbleibseln einer sterbenden Kultur fahnden. Kurosawas Protagonisten beherrschen meist wenigstens noch die Kunst des würdevollen Freitods. Doch die renitente Brut Ishiis weiß noch nicht einmal mehr von dieser letzten Tugend. Und wenn der Familienvater das Termitenvernichtungsmittel als Todeselixier seinen Anverwandten reicht, mag keiner nippen. „Ihr könnt nicht einmal sterben“, klagt er und geht über zu brachialeren Nahkampftechniken.

Sogo Ishii, der auf Einladung der Ottenser Gruppe „Japanisch-Deutscher Stadtteildialog“ nach Hamburg gereist ist, wird bei der Vorführung anwesend sein.

big 30. Oktober, 20 Uhr, Zeise