Nach dem Vulkan: Pendeln und 18 Mark die Stunde

■ 500 VegesackerInnen hofften vergeblich auf Ideen zur Rettung der Vulkan-Werft

Nur Hasso Kulla machte in Optimismus. Durch gemeinsam verbesserte Arbeitsorganisation und „ohne einen Pfennig Investitionen sei die Produktivität auf der Vulkan-Werft um 22 Prozent gesteigert worden, beschwor der Betriebsrat den Durchhaltewillen der 500 ZuhörerInnen im brechend vollen Saal des Bürgerhauses Vegesack. Allein, den Menschen in Bremen-Nord fehlt der Glaube an eine Zukunft der Werft. Und auch das hochkarätige Podium beim Runden Tisch der Kirchen zum Vulkan konnte letztlich nur die letzten Chancen beschreien.

Konzepte hatten weder Konkursverwalter Jobst Wellensiek noch Bürgermeister Henning Scherf oder der Schiffbauexperte Heiner Heseler zu bieten, vom Bremer Arbeitsamtsdirektor Christian Hawel ganz zu schweigen.

Die Ratlosigkeit war während der drei Stunden Diskussion mit Händen zu greifen. „Ich bin froh über jeden Tag, den wir uns halten“, entgegnete Wellensiek den Vulkanesen, die von dem Anwalt aus Heidelberg Konzepte für die Zukunft der Unterweser-Werften forderten – mit revolutionären Konzepten vom umweltverträglichen Schiff bis zum Bau von Ölbohrinseln. Wellensiek waren keine positiven Signale zu entlocken. „Ich kann nur die Voraussetzung schaffen, daß uns vielleicht ein privater Investor übernehmen kann“. Daß allein durch den Einsatz der Belegschaft die Baukosten für ein Containerschiff von 110 Millionen auf den Marktpreis von 70 Millionen gedrückt werden könnten, hält Wellensiek für ausgeschlossen.

Als einzigen Rettungsanker präsentierte das Podium den Bremen-Nordern den Prüfauftrag für die Management-Gurus von Mc Kinsey. Sie sollen Anfang nächsten Jahres den Daumen heben für ein Weiterleben der Werft – oder eben auch nicht, denn ein Gefälligkeitsgutachten hat auch Henning Scherf nicht bestellt. Solange geht die Zitterpartie weiter.

„Wir sind an der psychischen Grenze“, klagte ein Schiffbauer. „Wir leben von der Hoffnung und niemand kann die Hoffnung rüberzubringen, daß es hier weitergeht“. Professor Heseler sah in der Psychologie den Knackpunkt: „Wenn die Vulkanesen selber nicht an eine Zukunft glauben, warum sollte jemand sein Geld in den Laden stecken?“

Für Kriegsdienstverweigerer Henning Scherf ist der Marineschiffbau Faustpfand für die Arbeitsplätze im Handelsschiffbau. Unbedingt müsse politisch verhindert werden, daß der Marineschiffbau für sich alleine einem Übernehmer gegeben werde. Druck in dieser Richtung ist offenbar da. Die Konsorten, darunter HdW aus Kiel und Blohm & Voss aus Hamburg, die gemeinsam mit dem Vulkan den jüngsten Bonner Bauauftrag für vier Fregatten bekommen haben, wollten den Vulkan aus dem Konsortium schmeißen, wenn er keine Bürgschaften für die Neubauten bringe, hieß es.

Die Lürssen-Werft, einen Steinwurf vom Vulkan auf der linken Weserseite und seinerzeit vorsorglich ins Konsortium aufgenommen, wolle sogleich die Vulkan-Marinesektion übernehmen. Wellensieks Statement sorgte für weitere Unruhe im Saal: „Es kann sich eine Situation ergeben, daß wir bei der Marine ganz schnell handeln müssen“. Sonst gebe es vielleicht keinen Marineschiffbau mehr in Vegesack.

Scherf wies erregt Vorwürfe zurück, der Senat lasse die VulkanesInnen hängen. Der Landeshaushalt sei mit 600 Millionen belastet, nun müßten städtische Firmen verkauft werden, alles für den Vulkan. Gerade habe die Bürgerschaft eine 35-Millionen-Bürgschaft genehmigt - für den erhofften Verkaufserlös des Kreuzfahrtschiff-Rumpfes Costa 2. Auch zu diesem Thema gab es keine Entwarnung: „Keine Werft der Welt will das Schiff haben“, sagte Wellensiek. Immer wieder falle man auf den italienischen Auftraggeber Costa zurück.

„Die Chancen sind nicht toll, aber wir müssen sie nutzen“, rief Scherf in der Schlußrunde mit sich überschlagender Stimme. Die jungen und flexiblen unter den einstmals 2.000 VulkanesInnen haben sich schon wegbeworben. 230 haben laut Betriebsrat Kulla bereits gekündigt. Den anderen bleibt keine Wahl, als weiterzumachen.

„Welche Aussicht habe ich, mit 53 Jahren einen neuen Job zu bekommen?“, verlangte ein Schiffbauer Auskunft vom Arbeitsamts-Mann Hawel. Der hätte sich am liebsten gedrückt, aber der aufgebrachte Mann ließ nicht locker: „Wenn Sie bereit sind, 70 Kilometer zu pendeln und als Facharbeiter mit 18 Mark Stundenlohn zufrieden sind, haben Sie vielleicht eine Chance“, malte Hawel eine düstere Perspektive. „Wenn es einfacher wäre, die älteren Kollegen in Lohn und Brot zu bringen, würde die Werft doch sofort geschlossen werden“. Kein Widerspruch im Saal.

Joachim Fahrun