Stille Post Geflüstertes aus Kultur & Gesellschaft

„Kölle alaaf!“ Kamellen fliegen, Schützenvereine ziehen mit viel Tamtam durch die Straßen, Konfetti schwängert die Luft. Aber halt! Wer sich beim Rheinländer Karneval wähnt, liegt falsch.

Der Lindwurm aus Kapellen, TänzerInnen, Oldtimern, historischen Feuerwehrzügen etc. schlängelt sich durch die Bremer Neustadt. Wer hätte das gedacht? Es gibt sie auch an der Weser - die fünfte Jahreszeit. Welch eine Überraschung für einen neu zugezogenen Rheinländer. Da werden heimatliche Gefühle wach. Auch wenn es hier, im kühlen Norden und an der Weser, „Ischa Freimarkt!“ heißt.

Abends geht die Party dann genauso weiter wie am Rhein. Man trifft sich in Bierzelten, tanzt auf den Tischen und versucht sich möglichst schnell zu betrinken. Die meisten jedenfalls. Dazu spielen schlechte Bierzeltbands zum Tanz auf. Wie zu Hause an Rhein, Ruhr und Emscher geht die Post hauptsächlich bei Neuer Deutscher Welle so richtig ab. Ist doch schööön, hier in Bremen.

Vor allem zum Ende, wenn man über vollgekotzte Schnapsleichen steigt und die Straßenbahnhaltestelle sucht. Aber darüber muß man eben hinwegsehen. Die fünfte Jahreszeit ist nunmal überall gleich.

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Jedesmal wenn einer meiner Freunde umzieht und wir beim Kistenschleppen helfen dürfen, dann wundere ich mich: Was man nicht alles aufbewahren kann; was man nicht alles sammeln kann.

Da werden alte Urlaubsfotos gehortet, nie gesehene Videofilme und natürlich Bücher. Doch heute wunderte ich mich, was man alles nicht sammeln kann, was alles zur falschen Zeit weggeworfen werden kann. Zum Beispiel im Archiv des Bremen Theaters die Kritiken zurückliegender Spielzeiten. Nichts ist vollständig dokumentiert, weder Kritiken noch Fotos sind etwa aus den Jahren 1962-73 zufinden.

Wer in den alten Mappen blättert, der wähnt sich bei Lieschen Müller. Völlig zufällig sind die Rezensionen der einzelnen Inszenierungen eingeklebt. Und oft hat man den Eindruck, daß eine gekränkte Seele hier das Archiv verwaltete. Was an vernichtender oder jedenfalls nicht lobender Kritik geäußert und gedruckt wurde, hat man lieber gar nicht erst aufgehoben. Eingeklebt wurden nur positive Kritiken und Lobeshymnen. So ähnelt die Sammlung eher einem Poesialbum als einem Archiv.