■ Deutlicher als je zuvor hat die frühere RAF-Aktivistin Birgit Hogefeld in ihrem gestrigen Schlußwort für die Auflösung der Roten Armee Fraktion plädiert
: Ein längst überfälliger Schritt

Als im November 1994 dieser Prozeß gegen mich begann, habe ich meine erste Prozeßerklärung mit dem Satz eingeleitet: „Während ich hier vor Gericht sitze, laufen die Mörder von Wolfgang Grams frei und staatlich gedeckt draußen rum.“ Wie nicht anders zu erwarten, hat sich daran bis heute nichts geändert. Die politischen Signale aus Bonn sind bei der deutschen Justiz angekommen. Kurz nach der Polizeiaktion von Bad Kleinen stattete Bundeskanzler Kohl der GSG9 einen Truppenbesuch ab und signalisierte damit, daß die Hinrichtung von Wolfgang Grams seine volle Rückendeckung hat. Zu diesem Zeitpunkt stand fest: Die staatliche Linie sollte das starre Festhalten an der Selbstmordversion sein und außerdem die Verhinderung der Aufklärung der Ereignisse von Bad Kleinen vor einem deutschen Gericht. Und so war es dann auch. Mangels hinreichendem Tatverdacht gegen die GSG-9-Beamten wurde die Klage der Eltern von Wolfgang Grams durch alle Instanzen abgewiesen. [...]

Das Ganze fand seine Entsprechung in diesem Prozeß. Die wahnwitzige Mordanklage gegen mich wegen der Erschießung des GSG-9-Manns Newrzella und mehrfachem Mordversuch wurde zugelassen, obwohl ich nachweislich in Bad Kleinen überwältigt und mit einer Polizeipistole auf meinen Kopf gerichtet auf dem Boden lag, bevor dort der erste Schuß fiel.

Diese Mordanklage gegen mich basiert auf der angenommenen geistigen Mittäterschaft, was in der Konstruktion davon ausgeht, Wolfgang Grams hätte den GSG-9-Mann erschossen. Nachdem ich sowohl Anklage als auch die Akten zu diesem Komplex gelesen hatte, war ich sehr gespannt, wie das hier vor Gericht ablaufen würde, denn der in der Anklage behauptete Ablauf stand in zentralen Punkten in Widerspruch zur Aktenlage. Die Fundorte der leeren Patronenhülsen aus der Waffe von Wolfgang Grams schließen aus, daß er – wie in der Anklage behauptet – vom oberen Treppenabsatz aus auf die die Treppe hochstürmenden GSG-9-Männer geschossen hat. Aber aus genau dieser Position soll er Michael Newrzella erschossen haben. Das kann so nicht stimmen. Außer den Fundorten der Patronenhülsen sprechen auch Zeugenaussagen gegen diese Version. Doch trotz solch eklatanter Widersprüche soll so – laut Bundesanwaltschaft – der Mord, dessen ich hier in geistiger Mittäterschaft angeklagt bin, abgelaufen sein. [...]

Über die Todesumstände von Michael Newrzella war ich mir vor diesem Prozeß nicht im klaren. Ich habe die Widersprüche zwischen Anklage und dem, was in den Akten steht gesehen, aber das hätte ja in die eine oder die andere Richtung in der Hauptverhandlung Aufhellung finden können. Erst darüber, wie hier seitens des Senats auch zu dieser Frage durchgängig gemauert wurde, bin ich mir heute sicher, daß von offizieller Seite davon ausgegangen wird, daß Michael Newrzella von seinen eigenen Leuten erschossen worden ist. Möglich, daß sie es nicht definitiv wissen, denn auch hier wurden die Spuren systematisch verwischt beziehungsweise vernichtet, aber sie halten es für wahrscheinlich, und deshalb durfte diese Frage erst gar nicht in Richtung tatsächlicher Aufklärung verhandelt werden.

[...] Vielleicht denken jetzt manche, daß es unpassend zu meiner derzeitigen Situation sei, über den Verhandlungsablauf hier zu polemisieren, schließlich wird von diesem Staatsschutzsenat demnächst ein Lebenslänglich-Urteil gegen mich ausgesprochen werden. Aber ich war jetzt an die 100 Mal in dieser Veranstaltung, und trotz der realen Drohung und Bedrohung, die dieser Prozeß natürlich für mich, für mein Leben darstellt, habe ich es häufig nur noch als absurd, oft auch als lächerlich empfunden, was hier passiert ist. Alle Vorurteile, die ich jemals in meinem Leben gegenüber einem deutschen Staatsschutzsenat hatte, wurden nicht nur bestätigt, vieles was hier seitens der Bundesanwaltschaft und des Senats gelaufen ist, hat das, was ich mir habe vorstellen können, bei weitem übertroffen. Hier wurde fast durchgängig nicht mal so getan, als ginge es darum, die tatsächlichen Abläufe aus den verschiedenen Anklagekomplexen aufzuklären.

Meine Verurteilung stand von Anbeginn fest

Manipulative und tendenziöse Zeugenbefragungen waren an der Tagesordnung, Zeugenaussagen und Indizien wurden zusammengedreht und Widersprüche ausgeklammert. Im Mittelpunkt des Interesses des Senats stand von Anfang an nur eins: meine Verurteilung.

[...] Ich bin schon häufig gefragt worden, warum ich nichts zu den gegen mich erhobenen Vorwürfen aus der Anklage sage, und daß die Tatsache, daß ich sie nicht bestreite, gegen mich gewertet werden wird. [...]

Verrat wäre für mich, zu den einzelnen Anklagekomplexen Angaben zu machen, die mich als Person entlasten würden, denn diese Angaben würden sofort mit anderen Ermittlungsergebnissen zusammengewürfelt und dann gegen andere benutzt werden. Seit den Aussagen von Peter-Jürgen Boock gibt es dafür eine neue Wortschöpfung: „Substraktionsverfahren“ wird das bei der Bundesanwaltschaft genannt, das heißt seine Aussagen sind nicht immer direkt belastend, lassen aber Rückschlüsse zu, die andere ins Fadenkreuz rücken.

Diese indirekte Sorte von Denunziation kommt für mich als Weg genausowenig in Frage wie direkter Verrat.

In dieser Hauptverhandlung gab es nicht bloß diesen einfach nur noch absurden und oft auch lächerlichen Teil der Beweisführung, den ich schon angesprochen habe – natürlich nicht. Hier wurden ausführlich die Todesumstände des US-Soldaten Edward Pimental beschrieben und Bilder seiner Leiche gezeigt. Edward Pimental war am Abend des 7. August 1985 von RAF-Mitgliedern in einem Waldstück bei Wiesbaden durch einen Kopfschuß hingerichtet worden. Er wurde von hinten in den Kopf geschossen, das Projektil trat durch eines seiner Augen wieder aus – Pimental war gerade mal 20 Jahre alt. Wenn ich heute versuche, mir eine solche Situation bildlich vorzustellen, wenn ich mir vorstelle, daß Menschen hergehen und einen jungen Mann erschießen, weil er Soldat der US-Armee ist und einen Ausweis besitzt, den sie haben wollen, dann empfinde ich das als grauenhaft und zutiefst unmenschlich – anders kann ich das nicht bezeichnen.

Oder Barbara Nies und Matthias Reams, die hier in der Hauptverhandlung als Zeugen ausgesagt haben. Barbara Nies und Matthias Reams sind zwei Menschen, die bei dem Bombenanschlag auf die US- Airbase in Frankfurt schwer verletzt worden waren. Und obwohl beide hier nur kurz ihre Verletzungen schilderten und über die Auswirkungen dieses Anschlags auf ihr weiteres Leben redeten, war deutlich zu spüren, wie sehr sie noch heute unter den körperlichen und seelischen Folgen leiden. Schon allein an diesen Beispielen wird für mich deutlich, daß vieles in unserer Geschichte als Irrweg anzusehen ist. Da kam es sehr schnell zu Verselbständigungen und einer Eskalation des Militärischen – Bombenautos, noch zusätzlich bestückt mit Metallteilen, die Menschen zerrissen haben und auch zerreißen sollten, Genickschüsse oder die Erschießung von Geiseln, wie schon bei der Botschaftsbesetzung in Stockholm. Wir waren denen, die wir bekämpfen wollten in dieser Hinsicht sehr ähnlich und sind ihnen wohl immer ähnlicher geworden.

Wenn die Bundesanwaltschaft in ihrem Plädoyer unzählige Male aus Briefen einer anderen RAF- Gefangenen zitiert hat und in diesen Briefen über den Tod eines Menschen in Begriffen wie „ausschalten“ geredet wurde, dann sträubten sich mir dabei angesichts dieser kalten und menschenverachtenden Sprache die Haare. Gleichzeitig weiß ich aber auch, daß ich da nur „Glück“ habe, daß da nicht ich selbst mit dieser Sprache zitiert werde, denn in den 70er und 80er Jahren habe ich auch so geredet.

Wie konnte es dazu kommen?

Und es gab Zeiten in meinen Leben, in denen ich die Erschießung eines US-Soldaten oder eine Autobombe auf der Airbase in Frankfurt oder Ramstein, oder die Schleyer-Entführung, die ganzen Aktionen der RAF seit ihren Anfängen eben, gerechtfertigt fand. Zu dieser Haltung habe ich heute ein große innere Distanz. Deshalb hatte ich in meiner Erklärung zur RAF-Geschichte vom Juli 95 zu der Erschießung von Edward Pimental gesagt, daß sie mit revolutionärer Moral und revolutionären Zielen nicht vereinbar ist, und in Hinblick auch auf andere Opfer, die unsere Seite, die RAF, seit ihrem Bestehen zu verantworten hat, die Frage gestellt:

„Wie konnte es dazu kommen, daß Menschen, die aufgestanden waren, um für eine gerechte und menschliche Welt zu kämpfen, sich so weit von ihren ursprünglichen Idealen entfernten?“

Der Tod eines Menschen ist endgültig, und eine Auseinandersetzung mit der RAF-Geschichte macht keinen Edward Pimental oder Gerold von Braunmühl oder Jürgen Ponto wieder lebendig. Und auch die Situation der Menschen, die bei RAF-Aktionen verletzt worden sind oder die durch unsere Aktionen Familienangehörige oder Freundinnen und Freunde verloren haben, wird dadurch, ob ich oder andere sich kritisch mit unserer Geschichte und dem, was ich heute als Irrweg und zum Teil katastrophale Fehler bezeichnen würde, auseinandersetzen, nicht leichter werden.

Wenn überhaupt, kann eine solche Auseinandersetzung auch gerade mit Blick auf die Opfer nur den Sinn haben, daß die dabei gewonnenen Erkenntnisse Wiederholungen vermeiden helfen. Darin sehe ich aufgrund meiner Biographie, der Tatsache, daß mein Lebensweg 20 Jahre lang eng mit der RAF verbunden war, für mich selber eine Verpflichtung und Verantwortung.

Aber gerade eine solche Auseinandersetzung ist offensichtlich staatlicherseits überhaupt nicht gewollt, anders jedenfalls ist nicht zu erklären, daß beispielsweise die für mich zuständigen Behörden nichts unterlassen, um genau diese Auseinandersetzung zu blockieren und soweit als möglich zu verhindern.

Im linken Spektrum hielt sich die Resonanz auf meine Ansätze von Reflexion und Diskussion der RAF-Geschichte in Grenzen – was auch angesichts der gesamten Situation nicht anders zu erwarten war. Reaktionen aus linksradikalen Kreisen waren häufig mit dem Vorwurf verbunden, ich würde in meinen Überlegungen und meiner Kritik unberücksichtigt lassen, daß es die Verhältnisse sind, die den bewaffneten Kampf notwendig gemacht haben, und daß die sich bis heute weltweit eher verschärft als verbessert hätten. Diese Argumentationslinie, daß Kriege, Ausplünderung, Hunger, eben das grenzenlose Elend unzähliger Menschen, Begründung und Legitimation für den bewaffneten Kampf auch hier sind, kenne ich gut – ich habe selber lange so gedacht und argumentiert. [...]

Eine Massenmobilisierung ist nicht möglich

Wenn es Erfahrungen gibt, die aus den Kämpfen bewaffneter oder militanter Gruppen hier gezogen werden können, dann gehört dazu unbedingt die, daß aus solchen Kämpfen keine Massenmobilisierung und in der Regel sogar überhaupt keine Mobilisierung entsteht. Das was in den 70er Jahren viele Linke weltweit aus der sogenannten „Focustheorie“ an Interventions- und Mobilisierungsmöglichkeiten abgeleitet haben, hat sich fast überall als so nicht umsetzbar erwiesen. [...]

Wenn ich die Haltung vieler Linker zur RAF anschaue – und gerade auch die von Leuten, die den Kampf der RAF politisch falsch fanden –, dann scheint ein wesentliches Moment der Gemeinsamkeit in eigenen Ohnmachtserfahrungen zu beruhen. Und genau das, also Ohnmachtserfahrungen scheinen auch durch die Texte von Menschen, die heute am Aufbau bewaffneter oder militanter Gruppen überlegen. [...]

Der Kampf wie ihn die RAF Anfang der 70er Jahre begonnen hat, gehört einer vergangenen Epoche an. Heute denke ich, daß eine Selbstreflexion allerspätestens 77 hätte einsetzen müssen, anstatt in eine Auseinandersetzung RAF – Staat zu treiben, bei der die Gesellschaft aber auch der Großteil der Linken außen vor stand.

Deshalb finde ich die Aufforderung von Helmut Pohl an die Illegalen, ihre Auflösung als RAF zu erklären, richtig – dieser Schritt ist lange überfällig. [...]

Keine einfache Annäherung

Und, das möchte ich hier auch mal sagen: Es ist für einen Menschen mit meiner Biographie sicherlich sowieso nicht einfach, sich seiner Geschichte zu nähern und all die Fragen, die dabei auf einen zukommen, zuzulassen. Ich jedenfalls empfinde das häufig als ziemlich schwierig und muß dabei viele innere Widerstände überwinden. Und wenn dann die äußeren Lebensumstände so organisiert werden, daß sie jede Diskussion und Auseinandersetzung soweit als möglich blockieren, um einem die Anregung und Reibung mit und durch die Gedanken anderer fast vollständig zu nehmen, und gleichzeitig auch so gestaltet werden, daß man immer wieder in die bekannten Konfrontationsmuster gezwungen wird und damit auch oft in die eigenen bekannten Verhaltensweisen – dann macht das das Ganze nicht leichter. [...]

Gegen eine Auseinandersetzung gibt es staatlicherseits die verschiedensten Widerstände, denn die Politik überläßt das Feld den Verfolgungsbehörden und einer Rachejustiz – die da ihre eigenen Interessen und Ziele verfolgen – und die das „Problem RAF“ bzw. Gefangene aus der RAF auf justitieller Ebene behandeln und abarbeiten wollen und sollen.

Doch die RAF – und das zeigt auch die mehr als 20jährige Kontinuität dieses Kampfes – war immer und in erster Linie die Reaktion von Menschen auf die hier herrschenden Verhältnisse. Bei allen Verirrungen und allen Fehlern, wir waren kein krimineller Haufen, der losgezogen ist, um irgendwelche Besitztümer anzuhäufen oder ähnliches. Und wer heute versucht, der RAF-Thematik auf dieser Ebene zu begegnen, der hat dafür seine eigenen Motive – und die dürften, wie es in diesem Land gute alte Tradition ist, zuallererst im Bereich der Verdrängung zu suchen sein. [...]

Nicht nur die Irrungen auf unserer Seite, unsere Bereitschaft zur Eskalation und die Verselbständigungen des Militärischen haben eine sehr viel engere Verbindung zur Geschichte dieses Landes, als uns, oder zumindest mir, das lange bewußt war. Aber auch diese völlig überzogenen Reaktionen auf staatlicher Seite, Ausnahmezustand 77, das öffentliche Nachdenken von Poltikern über standrechtliche Erschießungen von Gefangenen, um Druck auf die Schleyer- Entführer auszuüben, Killfahndung und Morde an Gefangenen, haben diese geschichtlichen Wurzeln.

Es brauchte da schon zwei Seiten, die gut zueinander paßten, damit diese Eskalationsspirale so funktionieren konnte, wie sie funktioniert hat – das hat nicht die RAF allein zu verantworten. [...]

Ich glaube zwar auch nicht, daß eine Auseinandersetzung über all diese Fragen heute auf allzu breites Interesse stößt, aber es gibt Menschen, die diese Diskussion führen wollen, und es gibt viele und die unterschiedlichsten Gründe dafür.

Eine wesentliche Voraussetzung dafür ist staatlicherseits ein anderes Umgehen mit uns und unserer Geschichte, und dafür braucht es Signale in diese Richtung, die nur von der Politik kommen können.

Gekürzte Fassung, die Red.