„Ich habe früher auch so geredet“

In einem der letzten großen RAF-Prozesse verfolgten Zuschauer und Justiz mit großer Aufmerksamkeit das selbstkritische Schlußwort der Angeklagten Birgit Hogefeld  ■ Aus Frankfurt am Main Heide Platen

Das Licht fällt wie immer schummrig durch die aquariumblau verglasten Scheiben unterhalb der Decke des fensterlosen Sicherheitssaales II im Erdgeschoß des Gebäudes E des Frankfurter Oberlandesgerichts. Die Dämmerung macht müde. Fast genau zwei Jahre lang ist hier gegen die ehemalige RAF-Aktivistin Birgit Hogefeld verhandelt worden. Und an fast jedem Verhandlungstag sah es so aus, als ob der Beisitzende Richter Klein vom 5. Strafsenat zumindest vorübergehend ein Nickerchen machen müßte. Fast kein Tag auch, an dem der Vorsitzende Richter Erich Schieferstein nicht Schwierigkeiten hatte, Akten zu finden und zu entziffern. Er steht kurz vor der Pensionierung und habe, heißt es auf den Gängen, Schwierigkeiten mit den Augen.

Angesichts dieser Umstände war es wohl kaum verwunderlich, daß Hogefeld – des vierfachen Mordes und mehrfachen Mordversuchs angeklagt – dem Gericht auch Desinteresse vorhielt. Ein „Lebenslänglich“ habe wohl von Anfang an festgestanden. Ihre gut eineinhalbstündige Abschlußerklärung forderte, obwohl in fast gleichmäßig leisem, sachlichem Tonfall vorgetragen, nicht nur im vollbesetzten Saal, sondern mit fortschreitender Zeit auch immer mehr die Aufmerksamkeit der Kammer.

Die Kammer, die ihr anfangs mit geschlossenen Augen, ja gelangweilten Minen folgte, blickte fast unisono auf, als Hogefeld ihren Richtern deren durchaus treffend beobachtete Körpersprache vorwarf. Frauenfeindlich hätten sie immer wieder auf Anträge von Verteidigerin Ursula Seifert reagiert, als seien sie „geradezu gezwungen, Katzenscheiße zu fressen“. Und dann „dieses ständig entnervte Schnaufen“. Eher unbeteiligt hingegen klang Hogefeld, als sie zum nach wie vor ungeklärten Tod ihres Lebensgefährten Wolfgang Grams im Juni 1993 auf dem Bahnhof von Bad Kleinen Stellung nahm. Immerhin wirft ihr die Anklageschrift unter anderem vor, für den Tod des Polizeibeamten Newrzella mitverantwortlich zu sein – obwohl Hogefeld zu jenem Zeitpunkt bereits von Sicherheitskräften überwältigt worden war. Es habe, betont sie zum wiederholten Mal, keine Verabredung in der RAF gegeben, sich bei Festnahmen freizuschießen.

Vorübergehend furios wird Hogefeld dagegen, als sie beschreibt, mit welchen Verrenkungen Belastungszeugen sie als Autokäuferin und als RAF-Lockvogel wiedererkannt hätten. Ein Zeuge habe selbst gesagt, er sei kurzsichtig, habe seine Brille nicht dabei gehabt und sei außerdem auch noch betrunken gewesen: „Das hatte oft durchaus Comic-Charakter.“ Nach einer von ihr erbetenen zehnminütigen Pause schenkte Hogefeld sich beim Rückblick auf den ihr zur Last gelegten Sprengstoffanschlag der RAF auf die U.S. Airbase in Frankfurt nichts. Dabei waren 1985 zwei Menschen getötet und zwei schwer verletzt worden. Eine Frau hatte den arg- und wehrlosen US-Soldaten Edward Pimental in der Nacht zuvor aus einer Diskothek gelockt. Pimental war dann in einem Waldstück hinterrücks erschossen worden. Sein Ausweis wurde am nächsten Tag für einen Sprengstoffanschlag auf die Rhein-Main-Airbase benutzt, bei dem zwei Menschen getötet und zwei schwer verletzt wurden.

Hogefeld, mit kaum merklichem Vibrato in der Stimme: „Der Tod eines Menschen ist endgültig.“ Sie wolle helfen, Wiederholungen zu vermeiden. Hogefeld verurteilte die Tat wie schon mehrmals zuvor und nannte es „Glück“, nicht daran beteiligt gewesen zu sein. Der Vertreter der damals verletzten Nebenkläger war sich gestern im „Löwengang“, der rundglasüberdachten Sicherheitsschleuse vor dem Saal, dennoch sicher: „Sie war dabei.“ Sonst, meinte er, „hätte sie hier die Karten auf den Tisch legen müssen“. Gar nicht erst erschienen war gestern Bundesanwalt Walter Hemberger, der sich mit Hogefeld und der Verteidigung im Lauf des oft zähen Verfahrens giftige und emotionale Wortgefechte geliefert hatte. Sein Kollege Bernhard Philipps dagegen hörte sich Hogefelds Vortrag aufmerksam an, den Rücken leicht gekrümmt, die Hände unter dem Kinn gefaltet und die Augen fast ständig auf die Angeklagte gerichtet.

Bei dem Vorwurf gegen Staat und Behörden, sie drängten junge Leute immer wieder absichtlich in den Terrorismus, runzelte er die Stirn, verdrehte die Augen. Einmal allerdings schien es fast, als stehle sich unter seinem braunen Vollbart ein Lächeln hervor, als Hogefeld seine Behörde den „Braune-Socken-Verein aus Karlsruhe“ nannte. Größenwahn, Realitätsverlust, Übersteigerung der eigenen Rolle, Wichtigtuerei und Selbstmitleid hatte eine Prozeßbeobachterin Birgit Hogefeld zu Beginn der Verhandlung vorgeworfen. Die Angeklagte nahm diesen Vorwurf gestern zumindest auf und hat ihn, für ihre Zeit bei der RAF, nicht bestritten: „Ich habe früher auch so geredet.“ Das Urteil wird am kommenden Dienstag um 10.15 Uhr verkündet.