Markt Mikrokosmos

■ Die Gralshüter des gefühlsechten Grunge, Pearl Jam, führen ihre eindringlichen Stimmungsszenarien auf

Bestandteil von Grunge zu sein gilt heutzutage als ziemlich unschick, wenn nicht gar als ein Anachronismus inmitten der Vielfalt sich an- und absagender Subkategorien. Waschechte Grunge-Bands wie Pearl Jam müßten da eigentlich ein eher verstecktes Dasein führen, zumal sie es betont ablehnen, sich dem musikevolutionären Mechanismus anzupassen, der nach steter Mutation und völliger Akzeptanz der Marktgesetze verlangt. So weigert sich die Band mit ihrem neuen Album No Code, den computerlesbaren Strichcode auf ihre CDs zu drucken, ohne den große Ketten keine CDs verkaufen. Doch den Ursprungshelden der Grunge-Erfindung gereicht auch diese Aktion nur zum Ruhm der Unbestechlichkeit, den man mit aller Einsiedelei und Rückzug von Journalisten und in kleine Clubs nur verstärkt.

Zwar ist ein solches Authentizitätsgehabe im Grunde ja recht unplausibel und von Beginn an dem Verdacht der Unaufrichtigkeit ausgesetzt. Doch bei Pearl Jam scheint die Regel des sich selbst negierenden Echtheitswunsches ihre Ausnahme im musikalischen Resultat zu finden.

Denn mit No Code hat das Quintett aus Seattle jetzt einen weiteren Baustein in den nichtkonformistischen Mikrokosmos gefügt, den es im Anschluß an den hymnenreichen Erstling Ten um sich errichtet hat. Meister in der Klasse des „Weniger ist mehr“ entwerfen Pearl Jam mit eher simplen, aber sicher gewählten Riffs und der voluminös-fragilen Stimme Eddie Vedders eindringliche Stimmungsszenarien ohne viel Geplänkel oder falsch verstandene Minimalismen. Während sich die Grunge-Kollegen von Soundgarden zunehmend einem ästhetizistischen Perfektionismus verschreiben und Neogrunger wie Bush mehr Pose als Potential aufzuweisen haben, peilen die Mannen um Sensibelchen Vedder unbeirrt die heikle Grenze zwischen emotionaler Intensität und peinlicher Betroffenheit an – und überschreiten diese dabei nur sehr selten.

Die einige Zusammenarbeit mit Altrocker Neil Young scheint Pearl Jam dabei nur gut getan zu haben. Neben der eher ambivalenten, gesinnungswandlerischen Tatsache, daß sie sich nun auch wieder in Großhallen wagen, wird Pearl Jam für No Code allerorten die musikalische Reifung attestiert: Eine gewisse Hardrockigkeit, die die Band latent umgab, ist einer entspannten Session-Atmosphäre gewichen, die Beliebigkeit zu vermeiden weiß.

Am Montag ist daher der Ausnahmezustand zu erwarten, die kühlraumartige Sporthalle Feuer und Flamme im Zeichen des einzig wahren, gefühlsechten Grunges zu sehen. Wer das peinlich findet, hat selbst Schuld und kann sich eines besseren auch nicht belehren lassen, da das Konzert längst ausverkauft ist: Keine Perlenmarmelade vor die Säue.

Christian Schuldt

Mo, 4. November, 20 Uhr, Sporthalle