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: Flucht aus L.A.

Wenn jemand „Just Call Me Snake“ sagt, dann kann es sich nur um Snake Plissken, die Klapperschlange, handeln. Und tatsächlich hat sich John Carpenter nach seinem grandios verunglückten Die Mächte des Wahnsinns an die Fortsetzung seines Kultfilms gemacht. 16 Jahre später züngelt die Klapperschlange (Kurt Russell) nicht 1996, sondern im Jahr 2003 und bricht nicht aus New York, sondern aus L.A. aus. Während vor 16 Jahren New York das Paradigma für die Metropole und ihren faszinierenden Verfall war, hat heuer Los Angeles, die „City of Quartz“, diesen Platz eingenommen. Insofern befindet sich John Carpenter mit Flucht aus L.A. auf der Höhe dessen, was man den öffentlichen Diskurs nennt.

Doch die Bewohner der Stadt sind immer noch dasselbe Sammelsurium aus Easy Ridern, House-Diven und Transen wie damals, da Carpenter sein Personal aus einem längst überlebten Underground rekrutierte. In Flucht aus L.A. sehen die metropolitanen Menschen aus, wie sie sich allenfalls der Bible Belt ausmalt und in seine Gebete einschließt. Selbst Snake Plissken gerät unter der Hand zu einer Art Peter Maffay mit Augenklappe – was einem nachträglich die Faszination für die erste Version madig macht. Natürlich hat Carpenter auch seine Frauenfiguren kaum modifiziert. Immer noch sind sie allesamt spärlich bekleidete Nymphomaninnen oder verwöhnte Kreischgören. So gerät auch Flucht aus L.A. zu einem Jungenspaß.

Und wie bei der ersten Klapperschlange steht eigentlich die Auseinandersetzung zwischen dem coolen Underground und dem militärisch-religiösen Hauptstrang der Gesellschaft hinter der Action-Handlung. Nach einem Erdbeben verwandelt der Präsident die USA in eine Gesundheits-Diktatur, in der Nikotin, vorehelicher Sex, rohes Fleisch und Rap-Musik verboten sind. Zuwiderhandlung wird mit der sofortigen Deportation nach Los Angeles, das zu einem monströsen Gefängnis umgebaut wurde, bestraft. Auf welcher Seite des Stacheldrahts also der Knast ist, hängt von der Einstellung ab.

In L.A. jedenfalls droht ein Revolutionsführer, der Che Guevara verdächtig ähnlich sieht, der Welt mit einem Kasten, den die Tochter des Präsidenten mitgehen ließ, den Strom abzudrehen. Diesen Kasten soll natürlich Snake Plissken in knapp bemessener Zeit zurückholen. Dabei greift ihm der aalglatte Wendehals Eddie (Steve Buscemi) und Pipeline (Peter Fonda), der munter auf einer Flutwelle surft, unter die Arme. Nicht nur bei jener Flutwelle sieht das Setting von Flucht aus L.A. sympathisch nach Puppenstube und Modellbau aus. Trotz der Klapperschlange hat man John Car-penter wohl doch kein ordentliches Budget mehr übertragen wollen. Doch gerade dieser unfreiwillig-ironische Umgang mit dem eigenen Mythos kommt Flucht aus L.A. paradoxerweise zugute. Volker Marquardt

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