Quadrate für die Ewigkeit

■ Die Werkschau des holländischen Starfotografen Anton Corbijn in den Deichtorhallen zeigt, wie popkulturelle Images hergestellt werden

Aufgeschreckt rennt Anton Corbijn durch die Deichtorhalle-Nord. Noch hängen nicht alle Fotografien seiner Werkschau, die am kommenden Freitag eröffnet wird, am rechten Platz. Wenn man den spitteligen Holländer und seine juvenile Gestik so sieht, bekommt man eine Ahnung davon, warum ihn so viele Popstars nahe an sich heranließen. So jemand stellt einen nicht bloß.

Bereits am Anfang seiner Karriere, 1977, war der stille, in London lebende Fotograf von der Popkultur angezogen und wurde schnell zu deren Hoffotograf. So durfte er etwa David Bowie als Nymphchen im Lendenschurz ablichten. In dieser Zeit wechselte Corbijn noch Formate und Ausschnitte. Tastend experimentierte er mit Distanzen zu den Ikonen der Popkultur, die direkt in die Linse spähen oder, wie Tom Waits, kaum sichtbar in Landschaften eingebaut sind.

Bereits Anfang der 80er Jahre, das zeigt die sowohl chronologisch als auch nach Lichtgehalten organsierte Hängung, hat der Starfotograf seinen Stil gefunden, den er bis heute zum Markenzeichen ausformte. Nie an seine Models heranrückend wirken seine Bilder, auch wenn sie scheinbar intime Einblicke gewähren, aber selten voyeuristisch. Mittels einheitlichem Filmmaterial und langen Belichtungszeiten betonen seine kontrastarmen Bilder die Übergänge zwischen den Grautönen. Die nahezu quadratischen Schwarz-weiß-Abzüge mit den dunklen Rändern sorgen für den einheitlichen Look in seiner Ahnengalerie der Popkultur. Über diese altmeisterliche Aufnahmetechnik vermag der Starfotograf sogar porträtierte Debutanten mit Vergangenheit zu versorgen.

Dabei bürstet der Auftragsarbeiter seine Prominenten nie gegen den Strich. Im Gegenteil, er zeigt alle Fotografierten, wie es ihre Star Persona verlangt, unterfüttert visuell ihr Image. So wird Henry Rollins zum sehnigen, proletarischen Wutklumpen, Kraftwerk zu Robotermenschen, Björk zur Elfe und die Iren U2, mit denen Corbijn immer wieder zusammenarbeitete, zu Söhnen der Wüste.

Manchmal heuern Plattenfirmen den Holländer auch an, um das Aussehen einer Band zu verändern. So wurde etwa die einstmals langhaarige Metal-Band Metallica über eine Fotostrecke mit massenwirksamem Sex-Appeal aufgeladen und zu Rotweintrinkern ästhetisiert. Allein der ewig renitente Johnny Cash wehrte sich mit einem zynischen Grinsen gegen die Verwurstung seiner Aura.

Cash steht, wie viele bei Corbijn direkt vor einer vernarbten Wand. Wie der nackte Oberkörper von Lenny Kravitz droht er so in der Textur des porösen Gemäuers zu verschwinden. So erscheinen die Künstler verletzlicher und weniger triumphal als bei anderen Fotografen. Dabei ist diese Verletzlichkeit eine ideale Projektionsfläche für alles Mögliche. Insofern zeigen die Bilder von Anton Corbijn vor allem wie Images in der Popkultur generiert und an welchem Punkt Künstler zu Ikonen werden.

Volker Marquardt

Deichtorhallen bis 5. Januar