Die blaue und die rosa Periode

■ Die Filmbühne am Steinplatz zeigt Filme mit und über Pablo Picasso

„Ich male, was ich sehe“. Von den unzähligen Bonmots, die Pablo Picasso zu dem am häufigsten zitierten Künstler dieses Jahrhunderts gemacht haben, dürfte dies eines der bekanntesten sein. Es ist der pure Hohn. Kaum ein anderer hat so ausdauernd und mit Erfolg an der Dekonstruktion von Wirklichkeit gearbeitet wie der 1881 in Málaga geborene und 1973 in Mougins bei Cannes gestorbene Spanier.

Für den 1980 entstandenen Film „Picasso – Tagebuch eines Malers“ des amerikanischen Regisseurs Perry Miller Adato ist dieses Zitat das Leitmotiv. Anliegen der Dokumentation über Leben und Werk Picassos, die die Filmbühne am Steinplatz anläßlich ihrer heute beginnenden Picasso-Filmreihe zeigt, war, Picassos Kunst möglichst handfest und allgemein verständlich zu erläutern. Das ist so weit auch ganz gut gelungen, obwohl man beim größten Teil dessen, was Adato zu sagen hat, das Gefühl hat, es irgendwo, irgendwann schon einmal gelesen, gehört oder gesehen zu haben.

In streckenweise atemlosem Tempo rekapituliert Adato die frühen Lebensstationen des Pablo Ruiz y Picasso. Die Kindheit in Málaga, der Umzug nach Barcelona, wo der Frühreife, der bereits in jugendlichem Alter „malte wie ein alter Meister“ und sich später des klingenden Namens wegen einfach nur Picasso nannte, im Künstlercafé Els 4 Gats verkehrte. Adato berichtet von Picassos Vater, einem Maler und Zeichenlehrer an der Kunstakademie von Málaga, der, als er ein Gemälde des sechzehnjährigen Sohnes auf der Leinwand sah, angeblich vor Ehrfurcht und Ergriffenheit schwor, selber nie wieder ein Bild malen zu wollen. Dann 1900 die erste Reise nach Paris, damals das unbestrittene Kunstzentrum der westlichen Welt, die Liebe zu Fernande Olivier, das Atelier im Bateau Lavoir, die blaue und die rosa Periode, die Bekanntschaften mit dem Dichter Max Jacob und Picassos Gönnerin Gertrude Stein – das alles läßt Adato in der gebotenen Eile Revue passieren. Eineinhalb Stunden können sehr kurz sein, gemessen daran, daß es über Picasso schrecklich viel zu erzählen gibt.

Vor allem aber versucht Adato anhand von meist recht einleuchtenden Beispielen, die Bilderfindungen und abrupten Stilwechsel Picassos unmittelbar mit Lebensumständen und persönlichen Erlebnissen des Malers zu erklären. Manchmal wirken die Verbindungen zwischen Anekdote und Werk aber auch ein wenig konstruiert. Etwa wenn Picassos Beschäftigung mit dem Motiv der (Friedens-)Taube – wie ganz zu Anfang des Films – damit begründet wird, daß sein Vater als Stillebenmaler einst auf die Darstellung von Tauben spezialisiert war.

Adatos Film ist eine Hommage mit Zuckerguß und sollte wohl auch nichts anderes werden. Schade nur, daß dabei einiges Wissenswerte unter den Tisch gefallen ist. Nicht erwähnt wird zum Beispiel, wie groß die Schwierigkeiten und Widerstände waren, mit denen Picasso nach dem Zweiten Weltkrieg zu kämpfen hatte. „Widerlicher Unrat, als Kunst verkleidet“, urteilte die britische Kunstkritik, als 1945 in London Bilder ausgestellt wurden, die Picasso während des Krieges gemalt hatte. Auch über dessen Mitgliedschaft in der Kommunistischen Partei Frankreichs, die – nebenbei bemerkt – 1952 zur Absage einer Picasso-Ausstellung in der Orangerie des Charlottenburger Schlosses führte, schweigt Adato sich aus.

Zu einem ganz anderen Genre zählt „Le Mystère Picasso“ („Picasso“ lautete schlicht der deutsche Titel) von Henri-George Clouzot. Der 1955 gedrehte Film, bei dem Claude Renoir, ein Enkel des Malers Auguste Renoir, die Kamera bediente, ist so etwas wie ein Kunst-Action-Movie. Ort der Handlung ist Picassos Atelier, das, im Stil des Film noir dramatisch ausgeleuchtet, zum Schauplatz eines aberwitzigen Wettlaufs mit der Zeit wird. Vor laufender Kamera malt Picasso live auf die von hinten angestrahlte Leinwand, so daß die ZuschauerInnen jeden einzelnen Strich buchstäblich mit den Augen nachverfolgen können. So faszinierend es ist, dem begnadeten Virtuosen bei der Arbeit über die Schulter zu sehen und die ein oder andere unvermutete Wendung in der Entwicklung einer Zeichnung mitzuerleben, so amüsant und aus heutiger Sicht fast unfreiwillig komisch wirkt die von Clouzot im Film heraufbeschworene Spannung, die sich aus angeblicher Materialknappheit ergibt. Wie der Regisseur den Maler anfeuert, als sei der ein Sportler beim Wettkampf gegen die Uhr, das hat schon was.

Darüber hinaus bietet die Picasso-Filmreihe der Filmbühne am Steinplatz natürlich noch einiges mehr, unter anderem ein sehenswertes Kurzfilmprogramm und Jean Cocteaus Klassiker „Testament des Orpheus“, zu dem Picasso nicht nur verschiedene Zeichnungen beisteuerte, sondern auch einen Kurzauftritt als Schauspieler hatte. Über die mimischen Qualitäten des Malers allerdings nur soviel: Zum Glück war Picasso nicht darauf angewiesen, sein Geld mit Schauspielerei zu verdienen. Ulrich Clewing

Heute 18.15 Uhr: „Das Testament des Orpheus“, O.m.U., morgen 18.15 Uhr: Picasso – a painters diary, OF. Filmbühne am Steinplatz, Hardenbergstr. 12.

Weitere Informationen: 3129012