Die Melancholie des Hier und Jetzt

Kolonialisten sind natürlich unsympathisch: Eine Ausstellung in der Neuen Gesellschaft für bildende Kunst zeigt mal mehr ernste, mal mehr ironische Variationen zum Thema Urlaubsfotos  ■ Von Detlef Kuhlbrodt

Urlaubsfotos sind blöd, so will es das Klischee derer, die aufs andere setzen. Auf Bilder „engagierter Fotografen“ etwa, „die durch sinnliche Annäherung und Einfühlung etwas bisher Unbekanntes im Fremden aufzuzeigen“ versuchen, wie es im Katalogtext von Matthias Harder zur aktuellen Ausstellung der Neuen Gesellschaft für bildende Kunst heißt.

Die so viel- wie nichtssagend „Begrenzte Grenzenlosigkeit“ betitelte Veranstaltung präsentiert Reisebilder von acht KünstlerInnen sowie ein Video des in Straßburg lehrenden Kunstprofessors Jean-François Guiton. Angenehm wehmütig geben sich auch die leicht braunstichigen und oft ineinander montierten Bilder von Sabine Korth, die die konkrete Melancholie eines vergangenen Hier und Jetzt vermitteln, die entsteht, wenn sich der Fotograf danach sehnt, einmal auch Teil der Wirklichkeit zu sein, deren Augenblicksbilder er fotografiert.

Dieser Wirklichkeit der Abgebildeten ist sich der englische Magnum-Fotograf Martin Parr nur allzu sicher. In großformatigen, sauberen Bildern feister Touristen trifft er klare Aussagen: Der Tourismus macht die Welt zu seiner Kolonie, und Kolonialisten sind natürlich unsympathisch. So etwa. Neue Ansichten sind das nicht unbedingt. Statt dessen gibt es oft nur eine kleine Idee, die ordnungsgemäß ausgeführt wird: Reinhard Kühl etwa fotografierte für „Neun Reisen“ und „Neun Rückreisen“ vom Fensterplatz eines Flugzeugs aus mehr oder weniger identische Aussichten. Neunmal am blauen Tag, neunmal in hübscher Dämmerung. Darunter stehen die Reiserouten: „Berlin–Moskau“, „Berlin–Oslo“ ... die Welt ist gleich. Nun ja.

Der Schweizer Christoph Draeger hatte die Idee, an Orte zu fahren, an denen sich Katastrophen ereignet haben. Malibu, wo Buschfeuer vor drei Jahren über dreitausend Villen in den Prominentendörfern zerstörten, Hiroshima, das Brüsseler Heysel-Stadion oder Ramstein sind nur einige seiner Stationen. Die Reisen werden interessant gewesen sein, die Bilder, die erwartungsgemäß Normalität zeigen, sind es eigentlich auch. Nur die bedeutungsvollen Namen der Orte stören – und wenn auf seiner „Carte Apokalyptique du Monde“ Auschwitz neben Gorleben steht, freut das auch nur sehr entschiedene Atomkraftgegner.

Friedhelm Denkeler ist neben seiner Fotografiererei als beratender Ingenieur im Qualitätsmanagement; Dagmar Sippel finanziert ihr Künstlertum sympathischerweise als Reiseleiterin, sie hat sich selbst schrill winkend in Urlaubspostkartenansichten montiert. Wo sie auf allzu schräge Accessoires verzichtet, sieht das sympathisch, quicklebendig und prima aus.

Andere verzichten ganz auf den Fotografiervorgang. Franjo Tholen etwa stellte die Rußlandfotografien eines anonymen Wehrmachtfotografen von 1942 und etwa zeitgleiche Orientaufnahmen eines deutschen KdF-Touristen nebeneinander und erinnert so an die Zeit, als Tourismus und Krieg noch nicht recht voneinander geschieden waren. Joachim Schmid, der 1991 die „Erste Allgemeine Altfotosammlung“ veröffentlichte, vergrößerte mehr oder weniger zerkratzte Negative, die er auf den Straßen der Welt fand. Einen lächelnden Chinesen mit Strohhut fand er in Berlin, ein hübsches Mädchen in São Paulo oder sonnenbebrillte Bikinifrauen in München. Die Beschädigungen der Negative betonen die Fremdheit der Porträtierten, die einen freundlich anschauen; sie erinnern an eine Situation zwischen unbekanntem Fotografen und unbekanntem Fotografierten, die man selber nie erlebte, und verringern zugleich die Distanz, die man sonst gegenüber dem sadistischen Distanzmedium der Fotografie hat.

In den Kratzern spürt man die Zeit, die vergangen ist und die auf andere Weise auch in den wunderbaren Postkartenarrangements des Dänen Jacob Tue Larsen thematisiert wird. Die Postkarten funktionieren dabei wie die Proustsche Madeleine. Beim Betrachten kommt die Zeit wieder vorbei, als man am Postkartenständer stand und später genau die gleichen verschickte: den nächtlichen Eiffelturm aus Paris, die kleine Meerjungfrau aus Kopenhagen oder die hübsche Blonde, die barbusig für dänische Freizügigkeit steht und für Løkken, für Kopenhagen oder für Dänemark im allgemeinen wirbt.

In Dr. Rutschkys kleinformatigen Fotos aus der Serie „Mit Dr. Siebert in Amerika“ geht es um Entfernungen und Perspektiven. „Man ist in Amerika gewesen und hat ein Fotoalbum mitgebracht, das den Bezugspersonen daheim vorgelegt wird. Sie haben zu jedem Bild was zu sagen, mutmaßlich waren sie schon vor Ort dabei, im Kopf des Fotografen, als er seine Aufnahmen machte.“

Unter den denkbar unspektakulären, kleinformatigen Schwarzweißbildern stehen in der filigranhübschen Handschrift des „Alltag“-Herausgebers die Kommentare seiner Bekannten. „Esse est percipi“ steht an einer runtergekommenen Hauswand. „Sehen heißt wahrgenommen werden, übersetzt der Philosoph, und das widerfährt diesen Einheimischen nur selten.“

Bis 1.12., täglich 12–18.30 Uhr, Oranienstraße 25