„Die behandeln uns wie Tiere“

Am S-Bahnhof Friedrichsfelde-Ost belagern Skinheads einen türkischen Imbiß. Zwischen Ständen ausländischer Händler schwadronieren die Rechten über das „Aussterben der deutschen Rasse“  ■ Von Barbara Bollwahn

Langsam dreht sich der Dönerspieß. Im Dunst des gegrillten Fleisches steht eine Gruppe von Glatzen. Springerstiefel, Bomberjacken, manche tragen Aufnäher: „Ich bin stolz, ein Deutscher zu sein.“ Ali, Björn und Jane gehören zu einer Gruppe von Skinheads aus den Bezirken Lichtenberg, Marzahn und Hellersdorf. Seit mit der DDR die organisierte Jugendclubszene unterging, ist die S-Bahn-Station Friedrichsfelde-Ost in Lichtenberg ihr neues, selbstgewähltes Freizeit-Zuhause.

Um Zündstoff für ihre ausländerfeindliche Gesinnung zu finden, könnten sie sich kaum einen besseren Ort als den Markt vor dem Bahnhofsgebäude suchen, der von ausländischen Händlern geprägt ist. Vietnamesen verkaufen billige Pullover, Jacken und Jeans. Hin und wieder werden auch geschmuggelte Zigaretten feilgeboten. Türkische Händler bieten Obst und Gemüse an. Der Stand mit den „Miederwaren aus Sachsen“ ist einer der wenigen mit Produkten aus deutschen Landen. Auch unter den Menschen, die aus dem S-Bahnhof kommen, sind viele Ausländer. Die meisten versuchen, ohne Aufsehen zu erregen, an dem Pulk von Skins vorbeizukommen. Selbst ein Augenkontakt könnte gefährlich sein.

Zwei Meter neben dem Bahnhofseingang betreibt ein Türke seinen Dönerimbiß. „Wir haben nix gegen Ausländer, die Steuern zahlen“, sagt „Ali“. Ali heißt eigentlich Alex. Und eigentlich ist er doch gegen alle Ausländer. Denn seiner „Prüfung“ hält kaum jemand stand. Einmal ist es der Gang, ein anderes Mal der Blick, der den 17jährigen in Rage bringt. Alle Ausländer sind ihm ein Dorn im Auge, weil sie „den ursten Affen machen“, die „Leute anwichsen“ oder mit deutschen Frauen „rummachen“. Das sei „Rassenschande“.

Ali kommt in Fahrt. Das ist sein Thema, da kennt er sich aus. „Es ist statistisch erwiesen“, sagt er mit ernstem Gesicht, „daß jede deutsche Familie drei bis vier Kinder zeugen muß, um die deutsche Rasse aufrechtzuerhalten.“ Doch leider sei die deutsche Regierung so unsozial, daß die meisten Paare nur zwei Kinder aufzögen. „Aussehen und Charaktere werden verändert“, setzt Björn hinzu. „Das ist abstoßend.“ Björn muß es wissen. Stolz erzählt der 18jährige, daß er eine „nationalsozialistische Erziehung“ genossen hat und daß seine Familie „sauber“ sei. Seit Generationen. „Unser Stammbaum soll aufrechterhalten bleiben“, fügt der angehende Kraftfahrzeugmechaniker hinzu.

Nach den Vorträgen der Jungs drängt es auch die bis dahin einsilbigen Mädchen zu einem Kommentar. Ein schwangeres Mädchen beteuert zunächst, daß sie „nichts gegen Kanaken“ habe. Bevor sie aber richtig loslegen kann, fällt ihr Björn ins Wort. „Das heißt ausländische Mitbürger“, berichtigt er sie und grinst.

Die Mädchen, die noch nicht so viel wie ihre Freunde über Rassenkunde gelesen haben, wollen trotzdem irgendwie mithalten. „In Kreuzberg“, sagt Jane, „kommt man sich als Deutscher wie ein Ausländer vor.“ Ja, pflichtet ihr Ali bei. Er sei einmal in Schöneberg fast „abgestochen“ worden. Nur wegen seines Outfits. Es gebe auch „überzeugte Nazis mit langen Haaren“, sagt Björn.

Warum sie sich vor dem türkischen Imbiß aufhalten und Dönergeruch statt Bockwurstdampf atmen? „Weil wir hier zu viel von unseren Leuten sind“, sagt Ali und grinst. Vielleicht aber auch, um einfach nur ihrem Rechtssein frönen zu können. Björn würde es im Traum nicht einfallen, am Dönerimbiß danke oder bitte zu sagen. „Wegen der Ideologie“, wie er sagt.

Diese gewollte Herablassung verfehlt ihre Wirkung nicht. „Die behandeln uns wie Tiere“, sagt ein junger Türke vom Dönerimbiß. Böse Blicke, Rufe wie „Du Türkenfotze, geh weg!“ oder umgeworfene Salatschüsseln als Demonstration der Macht. „Nicht nur wir haben Angst“, sagt der Türke, „auch andere Ausländer werden angemacht.“ Wenn er eine andere Arbeit hätte, würde er lieber heute als morgen in einen anderen Stadtteil gehen. Mehrmals schon hätten sie die Polizei gerufen. Doch die komme erst „nach dreißig bis vierzig Minuten“, klagt er. Manchmal würden die Beamten einige der Skins mitnehmen. „Aber dreißig Minuten später sind die wieder da“, sagt er.

Sein Chef, der seit Oktober 1992 den Imbiß betreibt, hat sich vor geraumer Zeit eine kugelsichere Weste zugelegt. „Was nützt mir Gefängnis für die Jungs“, sagt er, „wenn ich sterbe.“ Der Imbißbetreiber hat resigniert. Sein Versuch, „einen Beitrag zur Völkerverständigung und zum Abbau von Vorurteilen zwischen Deutschen und Ausländern“ zu leisten, werde seit Anfang des Jahres durch die Skins zunichte gemacht. Doch nicht nur das. Durch die Präsenz und Belästigungen der Gruppe würden viele Kunden den Imbiß meiden. „Ich will zurück“, so das Fazit des Türken.

Ratlos ist auch die Polizei, die den S-Bahnhof sehr wohl als Treff von Rechten kennt. Doch mehr als „allgemeine Überwachung“ mit Personenkontrolle sei nicht zu machen, sagt Einsatzleiter Werner Patzke. Den Vorwurf des Imbißbetreibers, die Polizei würde ihn im Stich lassen, weist er zurück. Aus zwei, drei Anzeigen wegen Sachbeschädigung und Beleidigung könne man nicht gleich „auf Auffälligkeiten“ schließen. Also jede kleine Rempelei, jede Beleidigung der Polizei melden? „Aber sicher“, sagt Patzke mit einem Ton, als sei man ihm zu nahe getreten. Nichts sei schlimmer als die „Es nützt ja eh nichts“-Haltung. Um dagegen anzukämpfen, rede er sich „bei den Bürgern den Mund fusselig“.

Als „leichte Konflikte“ tut Ali das Verhältnis zwischen der Clique und dem türkischen Imbiß ab. Manchmal müsse man eben den Frust rauslassen. Ali beschwert sich, daß die Polizisten es auf sie „abgesehen haben“. Andere beklagen „das Fehlen öffentlicher Räume“. Im Osten habe es damals wenigstens „Einigkeit“ gegeben, heißt es. „Der Sozialismus ist ein edles Produkt“, sagt Björn. Es klingt mehr nach dem Anpreisen einer unbekannten Biersorte als nach Gesellschaftskritik. Nahtlos geht er über zur „Weltordnung“: „Ich hab nix gegen Neger“, sagt er. „In ihrem Land“, vervollständigt er seine Lebensphilosophie.

Es gab Zeiten in seinem jungen Leben, da hat er nicht lange gefackelt und gleich zugeschlagen. Mit 13, im Suff wie er sagt, hat er einem Ausländer ein Schädelbasistrauma verpaßt. „Der lag auf der Schippe“, sagt er emotionslos. Ein sozialer Trainingskurs für den damals Strafunmündigen endete für Björn mit der Erkenntnis: „Wer mich nicht achtet, den achte ich auch nicht.“ Doch die Schlägerzeiten seien vorbei, betont er. Die Narbe auf seiner Nase habe er sich selbst beigebracht. „Da bin ich mit Absicht gegen eine Scheibe“, erzählt er. Um Aggressionen abzubauen.

Es ist nicht so, daß Alex, Björn und die anderen noch nie im Ausland waren und gar nichts mit Ausländern zu tun haben. Doch das ist wie mit einem sauren Apfel. Man beißt rein oder läßt es bleiben. Weil Björn seinen libanesischen Arbeitskollegen schlecht rauswerfen kann, ringt er sich täglich zu zwei Worten durch. „Dem sag ich guten Tag, mehr nicht.“ Ali erzählt, daß er mal in Spanien war. „Ein Kumpel kennt da paar Glatzen.“ Auch in Frankreich habe er Kameraden.

Lieber schimpfen die Skins darüber, daß sie in den Medien so schlecht wegkommen. „Die regen sich auf, wenn eine Glatze auf einen Türken losgeht“, sagt einer. „Wenn ein Türke abgestochen wird“, ereifert sich Jane, „gibt es einen Riesenartikel. Erwischt es einen Deutschen, ist es nur eine Kurzmeldung.“ Jane spielt auf das Erntedankfest in Hellersdorf vor wenigen Wochen an. „Ein von rechten Jugendlichen angezettelter Krawall hat das Erntedankfest überschattet“, hieß es im Polizeibericht. „Etwa 20 bis 30 Betrunkene haben ab 20 Uhr Streit gesucht“, teilte die Polizei mit. „Gegen 21 Uhr ist ein junger Mann durch einen Messerstich verletzt worden.“ „Die Medien übertreiben“, stellt Ali klar. „Wir haben in Ruhe unser Bier getrunken, als uns einer sagte, daß einer von uns abgestochen wurde.“ „Wir sind immer die Bösen“, beschwert sich Jane.

Ihre Vorbilder? „Die Wehrmacht“, sagt Ali. „Die haben gekämpft und ihr Ding gemacht“, schüttelt er wieder eine rechte Parole aus dem Ärmel seiner Bomberjacke. Die „Judenverfolgung“ sei zwar „Scheiße“ gewesen, „aber es gab Arbeit“. Björn schwört auf Rudolf Heß. „Das ist der Mann, der sich zuerst gegen Hitler gewandt hat“, sagt er. „Er hat den Untergang eines geordneten Lebens in Deutschland vorausgesagt“, brüstet sich Björn, der für Landserhefte in den letzten Jahren an die 2.000 Mark ausgegeben hat. „Das war damals keine Niederlage“, stellt er klar. Und bisher hat Heß noch jedes Jahr seine Gedenkminute bekommen. „Dieses Jahr waren wir sechzig“, erzählt Björn stolz.

Ob die Mädchen wissen, wer Rudolf Heß war? „Es gibt so viele Bücher“, sagt eine von ihnen kleinlaut. „Alles so was interessiert mich aber“, fügt sie schnell hinzu. Die andern Mädchen nicken. In der Schule werde zu wenig darüber gelehrt. Darüber sind sie sich alle einig. „Die aus der Szene müßten mehr lesen, um zu wissen, warum sie gegen Ausländer sind“, sagt Björn.

Weiter kommt er nicht mit seiner Agitation. Ein großer Typ, mit Glatze und silbernem Totenkopf an seiner schwarzen Lederjacke und etwa doppelt so alt wie die meisten in der Clique, kommt aus dem S-Bahnhof gestürmt. „Spinnt ihr denn, mit der Presse zu reden?“ fährt er sie an. Ob sie denn nicht wüßten, was Journalisten später aus diesen Gesprächen machten. Doch die Gruppe zeigt sich unbeeindruckt.

Nachdem er einem Jungen aufgeregt etwas ins Ohr geflüstert hat, macht er sich von dannen. Die Frage, ob das ihr Chef gewesen sei, beantwortet Björn: „Man muß nicht jeden kennen, der zur Gemeinschaft gehört.“