„Ganz in der Musik sein“

■ Die Geigerin und Professorin Maria Grevesmühl wird allen sehr fehlen

Das nackte Entsetzen über den gewaltsamen Tod der Violinprofessorin Maria Grevesmühl hinderte einige SchülerInnen der Hochschule für Musik gestern verständlicherweise daran, über sie und ihren Unterricht zu sprechen. Zu allen hatte sie ein persönliches Verhältnis, und es war ihr pädagogisches Konzept, daß Persönlichkeitsbildung von musikalischer Interpretation nicht zu trennen ist. „Sie hat uns immer wieder gesagt, daß die Musik in uns selbst ist, und daß wir darauf vertrauen können“, sagt stellvertretend für die StudentInnen aus Grevesmühls Klasse ihre langjährige Schülerin Brigitte Behrens, die vor einigen Tagen erfolgreich ihre künstlerische Reifeprüfung abgelegt hat. „Ganz in der Musik sein“, war das Lebensmotto der Geigerin.

Um das zu erreichen, braucht es allerdings eine perfekte Technik, auf die Maria Grevesmühl größten Wert gelegt hat. Wichtig war ihr eine solide Ausbildung und eine dem Körperbau angepaßte Technik des Spielens. „Ihre Schüler und Schülerinnen waren alle handwerklich ungewöhnlich gut ausgebildet“, sagt Hans Joachim Kauffmann, der emeritierte Fachbereichssprecher der Hochschule, „und so haben besonders viele Schüler von ihr namhafte Preise gewonnen und sitzen heute auf begehrten Orchesterstellen“.

Kauffmann war es auch, der die junge und erfolgreiche Geigerin 1968 als damaliger Direktor an das Konservatorium berufen hat. Maria Grevesmühl ist die Tochter des bekannten Geigers Hermann Grevesmühl; bereits mit zwölf Jahren hatte sie in Bremen ihren ersten Auftritt als Sologeigerin. Die Namen ihrer Lehrer sprechen für sich, Max Rostal, Henryk Szering und Leonid Kogan sind nicht nur in MusikerInnenkreisen bekannt.

Als die Solistin in zahlreichen Konzerten in aller Welt ihre Stelle als Pädagogin annahm, tat sie dies alles andere als nebenbei, im Gegenteil. „Sie hatte ein einmaliges Fingerspitzengefühl für Begabungen, auch schon bei kleinen Kindern“, sagt Hans Joachim Kauffmann. So hat sie Außerordentliches in der Vorstudienausbildung geleistet und auch da schon darauf geachtet, „daß wir nicht nur technisch üben“ (Brigitte Behrens). Sie hat Fortbildungsveranstaltungen an Jugendmusikschulen organisiert und sich als Vertreterin des Landes Bremen bei der ESTA (Europaen String Teachers Association) für zeitgenössische Musik eingesetzt. So verband sie eine Freundschaft mit dem koreanischen Komponisten Isang Yun, den sie für Work-shops auch nach Bremen holte.

Maria Grevesmühl war Konzertmeisterin in Kauffmanns Orchester des Konservatoriums,gründete aber in den achtziger Jahren ihr eigenes „Kammerorchester Maria Grevesmühl“: Daß die MusikerInnen im Stehen spielten, zeigt etwas von der kammermusikalischen Spannung, die hier jedem einzelnen abverlangt wurde. Die Spezialgebiete von Maria Grevesmühl in ihrer solistischen und kammermusikalischen Arbeit, die sie besonders liebte, waren die frühe Moderne und die Musik des Barock. Mit dem Tod von Maria Grevesmühl verschwindet viel mehr als eine „Institution“, die sie auch war, es verschwindet eine zutiefst menschliche Auffassung der Einheit von Musik und Leben, die in unserer karriereorientierten Zeit keineswegs immer selbstverständlich ist und die ihr ihren Tod gebracht hat.

Ute Schalz-Laurenze