Wie der SPD-Parteitag für eine Stunde die Koalition sprengte

■ Streit um Privatisierungen / SPD-Basis vertraut Scherf nicht

„Das ist nicht unser Tafelsilber“, rief der SPD-Landesparteitagsdelegierte Jürgen Maly am Mittwoch abend den Delegierten zu, was da verkauft werden soll, „das sind unsere Goldreserven“. Tosender Beifall in der Kantine der Seebeck-Werft. Die Stimmung der Delegierten war eindeutig: Das, was die Parteispitze ihnen da als Ergebnis des Koalitionsausschusses vorsetzen wollte, geht an den Nerv sozialdemokratischer Identität. Und das ohne zwingende Rechtfertigung: Klar, daß dem Vulkan geholfen werden müsse. Aber, so Maly, er höre von dem EU-Kommissar van Miert, daß es bis heute kein Strukturkonzept für die Zukunft der Werften gebe: „Da kommt nichts, aber auch gar nichts.“ Man habe die Bürgschaften beschlossen, insistierte Detmar Leo, dazu müsse man nun stehen – und zahlen. Kein Vulkan-Arbeitsplatz werde mit den 600 Millionen, mit denen jetzt alte Bürgschaften bedient werden müssen, gesichert, entgegnete der Delegierte Reinhard Werner, „das Geld kriegen alles die Banken. Und der Betriebsratsvorsitzende der Bremischen appellierte an die Genossen, „als Sozialdemokraten“ zu entscheiden und nicht „als Finanzexperten“. Der Personalvertreter der Gewoba redete Klartext: „Wenn ihr soviel Geld für die Anteile der Wohnungsbaugesellschaften haben wollt, dann müßt ihr euren ganzen Sozialklimbim hier streichen.“

Der Landesvorsitzende Detlev Albers wollte sichtlich lieber keine Rolle spielen, die Entscheidung des Koalitionsausschusses verteidigte Bürgermeister Henning Scherf vor allem lautstark. Fast ultimativ meinte er, er stehe für den Kompromiß, der im Koalitionsausschuß verabredetet worden war, das habe er am Tage vor dem Parteitag noch schriftlich der CDU versichert. Die Parteibasis habe diese Koalition beschlossen, nicht die Delegierten. Erst nach den nächsten Wahlen könne darüber neu geredet werden.

Von den 150 Delegierten scharten sich gerade drei hinter ihrer Führung. Als es gegen 23 Uhr dann zur Abstimmung über den Leitantrag kam, bekam der von Maly vertretene – kein Verkauf von Bremischer, Gewoba, BEB – mit 76 gegen 68 Stimmen knapp die Mehrheit. Verdattert saß Scherf da („Ich würde gern mit Euch weiterarbeiten“), Fraktionsvorsitzender Christian Weber versuchte eine Grundsatzrede. Da ging der Ex-Bürgermeister Klaus Wedemeier ans Rednerpult; bisher hatte er sich in die Debatten um die Politik seines Nachfolgers kaum öffentlich eingemischt. Wedemeier kritisierte die Parteitags-Regie, weil der Eindruck entstanden sei, die 49,9 Prozent seien nicht der letzte Kompromiß, der den Delegierten abgerungen würde. Die Argumente stimmten hinten und vorne nicht, meinte Wedemeier. Und warum kauft nicht die Gewoba die Bremische, fragte er. Warum bleibt man nicht bei den Festlegungen des Koalitionsvertrages, die Gewoba in eine Aktiengesellschaft umzuwandeln und die Aktien als Streubesitz zunächst den Mietern anzubieten? Nölle, noch als Sparkassen-Vorstand, plauderte Wedemeier aus, habe ihm damals gesagt, der Wert der Gewoba werde nach dem Jahre 2000 erheblich steigen, wenn tausende von Wohnungen aus der Sozialbindung herausfielen. Nölle habe gesagt: „Wenn Sie klug sind, dann halten Sie jetzt den Mund.“ Viel Applaus für Wedemeier, und Scherf meinte gleich zweimal, „mit Deiner Hilfe, Klaus“ werde man vielleicht aus dem Dilemma des Parteitages heraus kommen.

Das Kalkül ging auf. In dem endgültig beschlossenen Text stimmten die Delegierten dann doch dem Verkauf von 49,9 Prozent an Bremischer und BEB-Holding zu, auf Wedemeiers Insistieren aber ausdrücklich ohne Sonderechte für den Erwerber. Gewoba soll die Anteile der Bremischen kaufen. Die Gewoba darf nur in eine Aktiengesellschaft umgewandelt werden, und das dauert. K.W.