Der Fluch der Sterne (Teil 2) Von Klaudia Brunst

Was bisher geschah: läßt sich so kurz nicht zusammenfassen. Immerhin war meine Freundin an jenem unglückseligen Sonntag irgendwann gegen Morgen wieder aufgetaucht. Da waren die anderen schon lange gegangen. „Nicht jeder erträgt den ungeschönten Blick in die Zukunft“, hatte die Wahrsagerin erklärt, ihre 600 Mark Honorar eingesteckt und war mit unserer Nachbarin ins „Kreuzberg Mitte“ abgezogen. Gegen Mitternacht mußte auch mein schwuler Freund aufbrechen, nicht ohne mir ein paar aufmunternde Worte hinterlassen zu haben: „Sie wird sich schon nicht gleich umbringen. Immerhin hat die Trulla ihr ein langes Landleben vorausgesagt“, meinte er, und daß eine „ungewollte Schwangerschaft“ heutzutage für ein aufgeklärtes Paar nun wirklich kein Problem mehr sein dürfte. Meine Erwiderung, „Ich bin nicht schwanger“, quittierte er mit einem grinsenden „Noch nicht! Aber die Sterne lügen nie.“ Dann ging er, und ich war mit den Sternen allein.

Natürlich hatte ich kein Auge zugetan, als sich gegen vier Uhr endlich die Wohnungstür öffnete. „Da bist du ja wieder!“ rief ich so harmlos wie möglich. „Ich komme nur, um wegzugehen“, gab meine Freundin zurück. Noch einmal versuchte ich ihr zu erklären, daß ich nicht die geringsten Ambitionen hätte, hetero zu werden (und erst recht kein Kind von meinem schwulen Freund will), sondern daß das alles doch nur das dumme Gerede dieser dummen Wahrsagerin sei. Aber da meinte meine Freundin, daß es ihr darum schon lange nicht mehr gehe. „Weißt du“, meinte sie erschreckend abgeklärt, „heute nacht ist mir bewußt geworden, daß wir letztlich nie wirklich zusammengepaßt haben: Ich liebe das Landleben, dir ist selbst ein Spaziergang im Park zuviel. Ich trenne den Müll, du entsorgst abends nicht mal deine Zigarettenkippen. Ich zelte gerne in Norwegen, du würdest am liebsten eine Eigentumswohnung im Center-Park kaufen. Ich steh' auf Jodie Foster, du rennst in jeden blöden Bruce-Willis-Film. Du hast einen derart konventionellen Massengeschmack – woher soll ich wissen, daß du dich nicht doch irgendwann für so einen dahergelaufenen Machotypen entscheidest? Ihr Sandkastenlesben wißt doch gar nicht, worauf ihr verzichtet.“

„Mein Gott“, versuchte ich es ein letztes Mal. „Ich bin nicht schwanger, und ich werde nicht schwanger sein. Da kann diese Frau Möllner mir noch so viele Kinder prophezeien. Vergiß das alles doch einfach.“ – „Wieso sollte ich?“ zuckte meine Freundin die Achseln. „Mir ist eine harmonische Beziehung in einfachen Lebensverhältnissen vorhergesagt worden. Du hast zwei Videorecorder, einen Disc-Man, eine Mikrowelle, Silberbesteck für zwölf Personen und ein Mittelklasseauto. Du kannst also unmöglich gemeint sein. Ich bin nicht mehr die Jüngste, Klaudia. Wenn ich noch etwas von meinem Leben haben will, dann muß ich die Frau meines Lebens schnell finden. Meine Zukunft beginnt heute. Und ich glaube, sie liegt auf dem Land.“

Sie packte das Nötigste, gab mir einen letzten Kuß, legte die Schlüssel auf das Telefontischchen und ging. Ich habe seitdem nichts mehr von ihr gehört. Wenn ich nachts wach liege, muß ich noch oft an ihre Worte denken. Ob ich als Sandkastenlesbe vielleicht wirklich etwas verpaßt habe?Ende