Jede Menge Holz

Vom Rave-Urchristentum zum Tankstellentechno: The Prodigy brennen das House nieder. Jetzt mit sechzig Prozent mehr Rock-'n'-Roll-Schwindel!  ■ Von Oliver Fuchs

Firestarter... Twisted Firestart-ah“. Ha, ha, ha! Die letzte Single war Fans und professionellen Verwertern noch Anlaß zu allerlei pyrotechnischen Späßen. „Burning Down the House?“ titelte, um im Bild zu bleiben, die Modezeitschrift The Face. Wie ein Lauffeuer verbreitete sich die Kunde von explosiven Gitarrenkniffen und brandgefährlichen Bühnenstunts. 'tschuldigung, hat mal jemand 'ne Zigarette für den Anarchisten? In diesen Tagen kommen Prodigy, die ja nie einen Ruf als Steuermänner feingeistiger Ars electronica zu verlieren hatten, mit einer neuen Rocksingle aus der Deckung. „Breathe“ ist längst kein Song mehr, auf den die Smashing Pumpkins neidisch werden. „Breathe“ klingt eher wie einer, den nicht einmal die Smashing Pumpkins sich zu schreiben getraut hätten. Techno in a Heavy Heavy Metal Style. So kann das unmöglich gemeint gewesen sein, als vor ein paar Jahren alle Welt anfing, von „Brettern“ zu schwärmen. Da hört, sollte man meinen, der Spaß auf.

Und fängt die Party erst richtig an. „Hard Dance Music“ nennt Tänzer Maxim die aktuelle Evolutionsstufe seiner Band. Und Tänzer Leeroy pflichtet ihm bei: „Ja, mit der Kraft des Rock.“ „Rock!“ schallt es aus der Ecke, wo Tänzer Keith eine Strähne grüner Haare zwischen den Fingern schnippt. Der einzige Nichttänzer in diesem Gruppenbild charismatischer Frontleute ist Liam. Herr über den Gerätepark, Technologe und verrückter Prozessor.

Als Rave-Urchristen waren die vier Kleinstädter aus Essex maßgeblich an den Wundern der Aufbruchsjahre 1990/91 beteiligt. Immer zur Stelle, wenn es galt, eine Wiese platt zu machen. Kaum daß aus Kneipenbekanntschaften Bandkollegen wurden, plazierte sich das nur zum Spaß homerecordete „Charly“ vorne in den Charts. Der Prototyp des Tankstellen- Techno-Kirmes-Knüllers war geboren, aus Bierschaum und Zufall. Bald schon sollte sich die kollektive Fun Factory in diesen Sound einloggen. Und Liam konnte keinen Regler mehr betätigen, ohne daß nicht mindestens ein Top- twenty-Hit dabei abfiel.

In seiner 96er Ausführung erweist sich das Erfolgsmodell Prodigy, zu deutsch: Wunder, als ebenso willens wie tüchtig, das Prinzip Rock wegzuschlucken. Logische, fast zwangsläufige Fortentwicklung einer Produktionsweise, die von Anfang an in alle Richtungen saugfähig und mit einem sicheren Gespür für das nächste große Ding ausgestattet war – ohne je zum übermäßig Visionären zu neigen. Daß die Fährte irgendwann ins Stadion zu den Langhaarigen einmünden würde, war abzusehen. Nach dem Zerfall der Rave-Gemeinde in Myriaden von Club Cultures reckten sich Prodigy mehr und mehr nach der Restauration des großen massenumspülten Moments.

Just say TechNO, jetzt mit 60 Prozent mehr Rock-'n'-Roll- Schwindel! Wo andere Tanzmeister von exklusiven Abgrenzungspolitiken gar nicht genug kriegen, wollen die hier partout zurück zu Sinn und Sinnlichkeit, Gefühl und Verführung, Wald und Wiese. Das inklusionistischste Angebot auf Erden macht dabei immer noch die Rockbühne im Grünen. Bitte um zahlreiches Erscheinen. Everybody in the place.

Der Credibility bei englischen Clubbern tut dies keinen Abbruch. Zeitgleich mit dem Charts-Eintritt erscheinen die Stücke noch immer auf obskuren Indie-Dance-Samplern, wie sie von Oberschülern in Parka-Brusttaschen vor der Welt versteckt werden.

„Die Dance-Szene ist ja wohl das letzte“, knurrt Keith die übrigen an. „Kommt schon, sagt, daß die Dance-Szene das letzte ist!“ Und so ist man sich rasch darüber einig, daß die Dance-Szene wirklich das letzte ist. Alle vier im Chor: „Diiiiiieser Snobismus!“ Indie und kein Ende?

„Was uns jetzt interessiert“, klärt Keith die Lage, „ist die Energie von Bands wie den Red Hot Chili Peppers.“ Bands, die bis vor kurzem noch die Headliner-Positionen der großen englischen Festivals hielten, obwohl sie Ami-Fiesrocker sind, und die unlängst von Prodigy verdrängt wurden. Dieses Engagement kostet dann doch Punktabzüge im Club: Von allen Acts, die ein Techno-DJ zwar respektiert, aber niemals auflegt, sind ihm Prodigy vermutlich die liebsten.

Der einzige Deutschlandauftritt der „wichtigsten Rock-'n'-Roll- Band der Neunziger“ (New Musical Express) vollzog sich aber letzten Sommer in Trossingen. Das liegt, mit der Pferdekutsche, zirka eine Viertelstunde vor den Toren Villingen-Schwenningens. Zirka fünf Meter neben der Bühne beginnt der Hochschwarzwald. Eine perfekte Kulisse für die neuerliche Vermählung zweier scheintoter Sumpfmonster zu Rockno oder, meinetwegen, Tech 'n' Roll. Sie fiel in eine Zeit, in der „Techno“ allenfalls in Verbindung mit den Müllproblematiken der Love Parade diskutiert wurde, und „Rock“ bloß noch in komischen Komposita vorkam wie „Rockstiftung Baden- Württemberg“. Und: Waren nicht schon vor ein paar Jahren Leute wie Jesus Jones achtbar bei dem Versuch gescheitert, zwei totalitäre Blöcke Popgeschichte so zu verbandeln, daß kein dritter entsteht?!

Entsprechend gelassen die Reaktionen. Entsprechend aufgepeitscht und hochgepitcht die Show. Wie Zunder, Zirkus! Keiths Haare trieben wieder ein paar Kinder in die Arme von psychologisch geschultem Personal. Bei Licht betrachtet ist die Nackentolle einfach eine praktische Frisuridee angesichts vorzeitigen Haarausfalls. Maxim trug Kontaktlinsen mit Schlangenmuster und einen Schottenrock. Maxim tanzte. Leeroy tanzte. Und Liam sorgte für die Musik, ohne die das Ganze noch komischer aussehen würde.

In der Provinz der Popwelt, die zufällig ihr Mainstream ist, wurden unter enormem Kraftaufwand wieder ein paar neue Verabredungen herbeigebogen. Mit Rockrevanchismus hat all dies weniger zu tun als mit Pragmatik und einem schier unkaputtbaren Glauben ans Maschinenmögliche. Doch: Daß diese Musik gemacht werden kann, ist das eine; daß sie gemacht werden muß, weil irgendwer sie braucht, um etwas damit anzustellen, zum Beispiel Brandstiftung, das andere. Nach Abzug allen Rockgetöses steht da nämlich, nackt und allein, König Spaß. Je störrischer ihn sich ein bürgerlicher Individualanarchist auch nach dem zehnten Criminal Justice Act nicht nehmen läßt, desto unnachgiebiger klagen Prodigy ihn ein. Sie haben eine Menge Holz zu verfeuern. Es sollte reichen, um über den Winter zu kommen. Bis zum Frühjahr, bis zur nächsten Platte. Noch sind die Zeichen ein wenig wirr, allein die Botschaft schein klar: Burn, Britpop, burn!

The Prodigy: „Breathe“ (Single, Intercord)

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