Kleiner Fisch im größten Land

Nur drei Prozent der deutschen Exporte gehen nach Japan. Kanzler Kohl hofft bei seinem Besuch auf die neue Japan-Initiative der Wirtschaft  ■ Aus Tokio Georg Blume

Jetzt ist er schon länger als Adenauer im Geschäft und macht doch keinen Tag lang Pause: Helmut Kohl wird heute zwischen Tokios heiligsten Stätten verkehren, dem Kaiserpalast und der Börse, und daneben ausführlich mit Premierminister Ryutaro Hashimoto plaudern. Selbstverständlich trifft der Kanzler auch die Herren von Mitsubishi und Toyota. Er ist da ganz anders als Adenauer: „Die Gefahr ist groß. Asien steht an der Elbe“, schrieb der 1946. „Nur ein wirtschaftlich und geistig gesundes Westeuropa (...) kann das weitere Vordringen Asiens aufhalten.“

Heute dreht Kohl den Spieß um: „Zukunftssicherung“ betreibe er in Asien. So läßt er sich zum Handelsreisenden für deutsche Großkonzerne in Indonesien und in den Philippinen herabstufen. Nur in Tokio, der dritten Etappe seiner Asienreise, gibt es für den Kanzler keine Milliardenverträge zu unterzeichnen. Kohls Hotel liegt hier gleich neben den Büroklötzen von Mitsubishi, der größten Unternehmensgruppe der Welt. Wie nun die Zukunft sichern, wo sie beim Blick aus dem Hotelfenster so nah erscheint?

Man weiß nicht, ob Kohl die deutsche Ausgangslage in Japan ernstlich wahrnimmt. Drei Prozent der deutschen Exporte erreichen derzeit den zweitgrößten Markt der Welt – so gut wie gar nichts. Außerhalb der Vorzeigebranchen Autos und Chemie haben deutsche Unternehmen in Japan nichts zu melden. Genaugenommen kann so von erfolgreicher Zukunftssicherung in Japan aus deutscher Sicht keine Rede sein. Doch Kohl sieht das natürlich anders.

Sein wichtigster Mann in Tokio ist derzeit der hiesige Siemens- Chef Ralph Gündling, ein zurückhaltender Manager harmonisierenden Typs, der als Präsident der Deutschen Industrie- und Handelskammer in Japan die sogenannte „Japan-Initiative der deutschen Wirtschaft“ mitgestartet hat. Die Japan-Initiative steht im Zentrum des Kohl-Besuchs. Sie soll deutschen Unternehmen die verpaßten Möglichkeiten in Japan aufzeigen und die deutschen Exporte nach Japan bis ins Jahr 2000 verdoppeln helfen. Zusätzliche Finanzmittel oder neue institutionelle Ansätze aber fehlen im Programm. Es geht um den Publikumseffekt. „Kohls Besuch kann der Initiative einen guten Push geben“, glaubt Präsident Gündling.

Gündlings Chef ist der Siemens- Vorstandsvorsitzende Heinrich von Pierer, ein Kohl-Freund, den der Kanzler 1993 zum Leiter des damals gegründeten Asien-Pazifik-Ausschusses der deutschen Wirtschaft (APA) bestellte. Kanzleramt und APA arbeiteten seither Hand in Hand bei der Formulierung deutscher Interessen in Asien: Es ging um Kraftwerke für Indonesien, Autofabriken für China und vieles mehr. Nur ein Land fiel im sogenannten „Asien- Konzept der Bundesregierung“ bisher völlig durch: Japan. „Nach dem Börsentief 1993 schien in Japan die Luft raus zu sein“, denkt Gündling zurück. „Fehleinschätzungen Japans waren zu diesem Zeitpunkt verständlich“.

Von den Fehleinschätzungen ist bei Kohl längst keine Rede mehr. Im Mauerjahr 1989 hatte er das pazifische Zeitalter kurzerhand für beendet erklärt und eine neue europäische Ära versprochen. Später kam er darauf nie wieder zurück. Heute nun die Japan-Initiative. Dankbar für soviel Zuspruch rollen die deutschen Manager in Japan dem Kanzler den Teppich aus: „Es gab in Japan keine politischen Versäumnisse. Selbstvorwürfe sind fehl am Platz“, lobt Gündling die deutsche Politik. Nur wenige halten wie der Deutsche-Bank- Leiter in Tokio dagegen: „Die Japan-Initiative ist begrüßenswert, und der Zeitpunkt scheint nicht zu spät“, bemerkt Thomas Illemann. „Aber wir haben viele Jahre verpaßt. Sogar Großunternehmen wie Siemens und Veba sind in Japan unterbelichtet.“

Japanische Wirtschaftsführer lieben Kohl schon deshalb, weil Japan in seiner Amtszeit acht Premierminister verbrauchte und der neunte gerade Schwierigkeiten hat, eine Regierung zu bilden. Doch steht zu befürchten, daß der Kanzler den Herren von Mitsubishi und Toyota ihr Lob nicht zu danken weiß. In einem Schreiben aus dem Bundeskanzleramt, das jetzt über die deutsche Botschaft in Tokio an Journalisten verteilt wurde, spricht Kohl von einem „Premierminister Miyazaki“, den er 1993 getroffen habe. Richtig schreibt sich der damalige Premierminister Miyazawa – ein Manuskriptfehler, der doch alles darüber sagt, wie ernst der Kanzler und seine engsten Mitarbeiter den Besuch in Tokio nehmen.