Die Aggressivität der Söhne

■ „Die Überlebenden“ macht Frauen Kopfschmerzen

Jungen, Männer, Söhne, Väter – die Generation, die den 68ern folgte, scheint rein männlich ausgefallen zu sein. Dieser Eindruck entsteht zumindest nach Ansicht von Andres Veiels Dokumentarfilm Die Überlebenden, in dem er von seiner eigenen Stuttgarter Schulklasse erzählt.

Rudi ist ein stiller „Schwächling“. „Und da hing er vom Reck herunter wie ein nasser Sack, tragisch, eine armselige Figur“, erzählt ein Mitschüler, der Rudi gerne mal einen leistungsstärkenden Tritt in den Arsch verpaßt hätte. Thilo hingegen macht Karriere wie der Papi, obwohl er doch mal dagegen war. Tilmann gilt als Schwuler, ein großer Einsamer, der zwischen die Leute fällt. Grund für Veiel, den Film über seine Klassenkameraden zu machen, waren die Selbstmorde von Rudi, Thilo und Tilmann.

Eine Generation setzt sich ein trauriges Denkmal. War es bei der vorigen der Krieg, der (Anti)Helden schafft, ist es nun ein „Freitod“-Film, mit dramatischem Titel. Wer überlebt hier wen? Ist es nicht immer so, daß die Söhne den Aufstand gegen die Väter planen, um die Machtpositionen zu übernehmen?

Diese Väter sind hier zu jung, um „richtige Nazis“ gewesen zu sein, doch sie werden als Gewalt-Symbole bekämpft. Dies mit einer Aggressivität, die die angeblichen Gewalttaten der Väter in den Schatten stellt. So ist es in Wirklichkeit Thilo, der seinen Vater in den Schwitzkasten nimmt und nicht umgekehrt.

Veiels Gefühl der Rache gegenüber den Eltern seiner Freunde, die diese aus Konservativismus, Kontrolle oder schlichter Armut zu kurz kommen ließen, schlägt mitten im Film um. Thilo als Opfer zu idealisieren, funktioniert nicht mehr, als dessen vorige Mitbewohnerin erzählt, daß Thilo sie vergewaltigt hat. Die Wut auf eine Welt, die nicht ist, wie sie sein sollte (zwei der drei „Freitoten“ waren Prozeßbeobachter in Stammheim), Haß auf die Familiengebieter und deren Gleichsetzung mit „Vater Staat“ lösen sich in Aggressionen gegen Frauen.

Und in Aggressionen gegen das eigene Selbst, das dem Vater in der trotzigen Gegenreaktion eigentlich gleicht, sich aber ohne Gewalt nicht zu lösen können glaubt, wie Thilos Schwester vermutet. Diese scheint die gleiche Familienkonstellation halbwegs heil überlebt zu haben. Warum reagierte sie nicht aggressiv, sondern nachdenklich? Scheinbar unterscheiden sich männlicher und weiblicher Umgang mit aggressiver Wut auf unsere unschöne Welt. Kerstin Kellermann

Noch bis 13. November, 3001