Wie die Bremer Politik den Vulkan fallen ließ

■ SPD-Bürgermeister Klaus Wedemeier kämpfte 1995 im Senat vergeblich um neue Millionen für den Vulkan / Wirtschafts- und Finanzressort, FDP - und CDU-Senatoren setzten auf den Markt und riskierten den Zusammenbruch

Woran ist der Vulkan zusammengekracht? Vier schlichte Antworten gibt es auf diese Frage:

Erstens: Der Weltmarkt ist für Anbieter aus den europäischen Ländern mit hohen Lohnkosten schwierig, zumal die Konkurrenz der Schwellenländer mit satten Subventionen arbeitet.

Zweitens: Unter diesen Bedingungen hat der Vulkan nicht schnell genug rationalisiert und Arbeitskosten abgebaut.

Drittens: Die absolute Mehrheit der SPD in der Bremer Landesregierung hat dafür garantiert, daß die Beschäftigungsinteressen vorrangigen Stellenwert hatten in der Werft-Politik. Unter Wirtschaftssenator Claus Jäger (FDP) und dann Hartmut Perschau (CDU) ist eine Wende eingeleitet worden.

Viertens: Als den Banken im Sommer 1995 klar wurde, daß die Bremer Landespolitik nicht mehr im Notfall alle Risiken übernimmt, haben sie ein letztes Mal das Land erpreßt und mit der Drohung, daß der Vulkan konkurs geht, alle ihre verbliebenen Risiken zu Lasten des Landes abgesichert.

Alle diese Aspekte haben sicherlich eine Rolle gespielt. Die Frage nach dem politischen Verantwortungs-Anteil am Vulkan-Crash muß sich aber auf Punkt zwei beziehen. Um diesen Teil der staatlichen Verantwortung für 4.000 Vulkan-Arbeitsplätze ist zwischen dem Herbst 1994 und dem Sommer 1995, hinter den Kulissen der Ampel-Koalition heftig gestritten worden. Der taz liegen vertrauliche Briefwechsel vor, aus denen sich die politische Entscheidung rekonstruieren läßt.

Am 15.6.1995 schrieb Vulkan-Chef Friedrich Hennemann an die beiden Männer, die gerade über ihre Koalition verhandelten – Henning Scherf und Ulrich Nölle – „persönlich/vertraulich“ einen drastischen Brief: „Weitreichende Entscheidungen“ stünden an, „die Zeit drängt“. Es gebe „naturgemäß durchaus Lösungen, die der Verbund allein gestalten kann“, die wurden aber bisher „nicht bis ins letzte ausformuliert, weil das Interesse der bisherigen Landesregierung an gemeinsamen Lösungen uns gegenüber sehr nachdrücklich und auch öffentlich erklärt worden ist“.

Boston Consult: Alles 30 Prozent zu teuer

Das war deutlich. Ein interner Behördenvermerk übersetzte wenig später: „Schließung von mind. drei Werftstandorten, wobei nicht davon ausgegangen werden kann, daß davon die Werften in Mecklenburg-Vorpommern betroffen sein könnten“. Hennemann hatte dasselbe Monate vorher schon öffentlich angedeutet: Aus rein unternehmerischer Sicht müßte der Vulkan an den Unterweser-Werften deutlich Kapazität abbauen. Wenn das Land Interesse daran habe, daß dies nicht passiert, müsse es dafür zahlen. Klar ist dabei, daß die Untergrenze der Werft-Kapazität sowohl beim Vulkan in Vegesack wie bei der Seebeck-Werft irgendwann unterschritten ist und „Abbau“ in Schließung übergeht.

Im August 1995 hatten die renommierten Boston-Consult-Wirtschaftsberater ein Gutachten vorgelegt, daß besagte: Container-Schiffbau ist rentabel beim Vulkan in Deutschland nicht möglich, sollte nur Auftragslücken füllen und in Kooperation mit Korea und China stattfinden. Insgesamt müssen die Kosten je nach Bereich um durchschnittlich 30 Prozent reduziert werden. Eine Chance hat nur der Vulkan als weltweit operierender Verbund, in dem Aufträge zur optimalen Auslastung auf die diversen Standorte „verteilt“ werden können. Die zentrale Steuerung muß verstärkt werden.

„Das Konzept ist in sich durchaus schlüssig dargestellt“, wundert sich der Beamte Adelmann, der in seinem Vermerk die Ergebnisse des Boston-Gutachtens zusammengefaßt hat, nur: „Es bleibt als Frage, warum erst jetzt eine derartige Strategie gefahren wird“, und: „.. kann man nur hoffen, daß die jetzt beabsichtigten Maßnahmen nicht zu spät eingeleitet wurden.“

Das Konzept sah 250 Millionen Mark Investitionen an den Unterweser-Standorten vor. Die Vulkan-Spitze hatte vornehm versichert, die Investition könne aus eigener Kraft getätigt werden. Die Prämissen waren aber derart ehrgeizig hoch angesetzt, daß man realistischerweise davon ausgehen konnte, daß bremische Subventionen am Ende doch wieder benötigt würden.

Wedemeier: Es droht ein Eklat besonderer Güte

Über diese Frage hatten Wirtschaftssenator Claus Jäger und Bürgermeister Klaus Wedemeier im Wahlkampf Anfang 1995 intern heftig gestritten. Wedemeier hatte am 19.4.95 dem Aufsichtsrat geschrieben, der Vulkan könne mit „bis zu 200 Mill. DM“ Hilfe rechnen, wenn dies EU-konform zu machen sei und damit „eine nachhaltige Sicherung der Schiffbaustandorte Bremen und Bremerhaven gelingt“. An demselben Tag abends bekommt Wedemeier einen wütenden Brief des FDP-Wirtschaftssenators, der sich dagegen verwahrt, daß Wedemeier sich „unter Einflußnahme auf die als Gutachter eingeschaltete C+L-Deutsche Revision offenbar bemüht“, die harte Überprüfung der Vulkan-Konzeption „auszuhebeln“. Der FDP-Senator hatte die Fachleute der Verwaltung (in den Ressorts Wirtschaft und Finanzen) hinter sich, so daß sich Wedemeier sogar bemühen mußte, den damaligen Finanzsenator Manfred Fluß (SPD) auf seine Seite zu ziehen. „Finanz- und Wirtschaftsverwaltung wollen eben nicht und riskieren damit einen politischen Eklat besonderer Güte, der ausschließlich zu Lasten der Sozialdemokraten geht“, hatte Wedemeier am 28.3.95 an den SPD-Genossen „Lieber Manfred“ (Fluß) geschrieben und darum gebeten, daß dieser Brief nicht in den Behörden-Akten landet. Fluß versicherte, daß er den Briefwechsel persönlich behandeln würde – und übergab ihn beim Amtswechsel seinem Nachfolger Ulrich Nölle (CDU).

Als dann im Sommer 1995 beide Ressorts – Wirtschaft und Finanzen – in CDU-Hand waren, konnte sich die harte Linie durchsetzen. Scherf wollte offenbar die Wedemeier-Politik nicht fortsetzen. Als im August 1995 die Banken von den neuen Bremer Senatoren der großen Koalition erfuhren, daß das Land Bremen nicht mehr um jeden Preis hinter ihrem Vulkan-Engagement stand, gingen sie auf Nummer sicher und verlangten für alte und neue Kredite 100prozentige Landesbürgschaften oder Pfandrechte.

Der Bremer Senat hatte mit dieser Reaktion offensichtlich nicht gerechnet und wurde vollkommen kopflos, da er eine neue Vulkan-Politik eingeleitet hatte, ohne deren Konsequenzen bedacht zu haben. In der Praxis wurde daher weiter so verfahren wie bisher: Das Land bürgte für alles. Innerhalb weniger Monate hatten die Banken 500 Millionen ihres Risikos auf das Land abgewälzt, ohne daß dadurch auch nur ein Schimmer neuer Perspektive gewonnen worden wäre. Bis heute wissen die Experten nicht mehr als im Sommer 1995, daß nämlich die Unterweser-Werften nur im Verbund eine Zukunft haben können. Da es den Verbund nicht mehr gibt, darf man gespannt sein, wie McKinsey in seinem neuen Gutachten das Todesurteil verpackt. Der Zeitplan paßt: Im kommenden Frühjahr laufen auch die Mypegasus-Lohnkostenhilfen aus, neue Aufträge hat die Vegesacker Vulkan-Stammwerft auch nicht.

„Dies alles schreibe ich Dir“, hatte Wedemeier in dem persönlichen Brief im März 1995 an Finanzsenator Fluß formuliert, „weil ich die große Sorge habe, daß Du ... nicht in vollem Umfang über das Handeln Deiner Verwaltung in dieser Sache informiert bist und darüber hinaus die enorme politische Gefährdung für unsere Partei nicht richtig einschätzt, wenn der Schiffbau in Bremen und Bremerhaven zusammenbricht...“ Den Verwaltungen der Ressorts Wirtschaft und Finanzen war dies damals schon egal oder wenigstens zweitrangig, den CDU-Senatoren in der großen Koalition dann um so mehr.

Zwei Jahre nach diesem Brief, im März 1997, wird die SPD vermutlich sehen, wie weitsichtig Wedemeier mit seiner Warnung damals war. Klaus Wolschner