"Ich habe kapitale Fehler gemacht"

■ Hat Ansprüche, begreift sich besser als früher, ist glücklich: Ute Lemper ist froh, so sagt sie, wieder in Berlin zu sein, wo sie derzeit den "Mann im Lift" dreht, ihre Kinder wie ein Känguruh schleppt u

Die amerikanischen Alliierten sind längst abgezogen. In den verwaisten McNair Barracks in Berlin- Lichterfelde dreht der belgische Regisseur Benoit Lamy seit Ende September seinen neuen Film. „Der Mann im Lift“ ist die Geschichte des Werbemanagers Charles Cuvelier (Richard Bohringer), der eine Wohnung besichtigen will und im Fahrstuhl des Hauses steckenbleibt. Eine fremde Frau sabotiert all seine Befreiungsversuche. Mindestens dreißig Leute drängen sich in der Enge eines nachgebauten Treppenhauses – Kamera, diverse Assistenten. Der Regisseur singt vergnügt der Mittagspause entgegen. Ute Lemper, 33, ist dünn wie ein Strohhalm und trägt Schwarz. In der Maske herrscht erbarmungsloses Licht. Ute Lemper freut sich unter Lokkenwicklern: „Man muß das Detail sehen.“ Dann fragt sie, was die taz für eine Zeitung sei. „Der Mann im Lift“ wird 1997 auf den Filmfestspielen von Cannes vorgestellt und kommt vermutlich im Frühsommer in deutsche Kinos. Ute Lemper lebt mit ihrem Mann und den zwei gemeinsamen Kindern in Paris.

taz: Was hat Sie an diesem Zweipersonenstück über eine Frau und einen von ihr abhängigen Mann so gereizt?

Ute Lemper: Im wesentlichen ist es schon ein Zweipersonenstück, aber es treten noch eine Menge anderer Leute auf, die natürlich wichtig sind. Ich fand das Buch von Henri-Frédéric Blanc, das als Vorlage für den Film diente, sehr gut. Aber ausschlaggebend für mich war die Zusammenarbeit mit Richard Bohringer [„Die letzte Metro“, „Diva“, „Der Koch, der Dieb, seine Frau und ihr Liebhaber“; Anm.d.Red.], ein wunderbarer Schauspieler. Außerdem hatte ich gerade Zeit, die Konditionen in Berlin waren angenehm. Mit einem zwei Monate alten Baby hätte ich nicht in die Walachei gekonnt. „Der Mann im Fahrstuhl“ ist trotz der Intensität der Arbeit ein Entspannungsstück.

Man hat mir gesagt, Sie wollten nur über den neuen Film reden.

Gott, nein, ich will auch über meine Konzerte reden. Im Dezember komme ich mit einem neuen Programm nach Deutschland: „Entartete Musik“. Die Plattenfirma Decca lanciert ja eine Reihe mit von den Nazis verbotenen und später vergessenen Komponisten; dafür habe ich gerade das Kabarettalbum gemacht, mit Sachen von Mischa Spoliansky, Tucholsky, Friedrich Hollaender. Mein Programm wird zur einen Hälfte aus Chansons der 20er und 30er Jahre bestehen, zur anderen aus Jacques Prévert. Ich werde damit im Berliner Ensemble auftreten, das habe ich mir immer gewünscht. So geht es mehr in Richtung Literatur.

Sie sind mit Chansons berühmt geworden, haben sich immer wieder auf die zwanziger Jahre berufen. Woher rührt diese Affinität?

Mich fasziniert die Paradiesvogelhaftigkeit und daß die Programme für damalige Verhältnisse völlig neues Territorium erschlossen: Songs über Sexualität im emanzipatorischen Sinn, auch über Politik, kühle Frivolitäten, die sich auf den sozialen Kontext bezogen. Sicher ist das heute nicht mehr so revolutionär, der Kontext ist ja auch anders. Aber es gefällt mir nun mal, und ich arbeite hart, um dieses Repertoire auf meine Art neu zu beleben. Nach dem Krieg bewegte sich die deutsche Kabarettszene in einem Vakuum, und so richtig hat sie sich scheint's nicht erholt. Da ist ein Wiederanknüpfen notwendig, auch um zu sehen, wie wahnsinnig humorvoll, geistreich und aktuell das war, was uns hinterlassen wurde. Der Esprit ist ganz wichtig für mich, dieses Freidenkerische, Unangepaßte und trotzdem Populäre. Die Musik heute ist total angepaßt, auch die ganz moderne, und wenn sie modern ist, dann nicht populär. Die Sachen in den Zwanzigern waren experimentell, und trotzdem haben die Leute sie verstanden. Was heute experimentell sein will, ist oft nur abstrakt, Populäres hingegen nur kommerziell.

Warum, glauben Sie, ernten mehr oder minder herausragende Kleinkunst-Performer wie Cora Frost oder Tim Fischer soviel gute Presse und bleiben in ihrer Wirkung trotzdem so beschränkt?

Ich habe bisher wenig neue Leute in Berlin gesehen. Das liegt daran, daß ich in Paris lebe, und dann sind da die Kinder. Ich glaube, daß es den Leuten auf und vor der Bühne manchmal nur ums Frivole geht oder ums Vulgäre. Da wird es dann schnell sehr dünn, wenn der oder die auf der Bühne sich voll darauf einläßt, aber nicht einmal das Handwerk beherrscht, und wenn es dann nur sexuell und nicht auch politisch frivol wird. Es heißt ja nicht ohne Grund „Zeit- Geist“. Kabaretts wie „Die Wühlmäuse“ machen zwar das Politische, aber da fehlt wieder das Erotische. Beides zu verbinden gelingt in Deutschland irgendwie nicht.

Wie erklären Sie sich die Unfreundlichkeit, mit der Sie in der Vergangenheit von der deutschen Presse behandelt wurden? Lag es daran, daß Sie Ikonen wie der Dietrich oder Piaf, an denen sich möglichst niemand vergreifen soll, zu nahe kamen?

Das hat viele Gründe. Zum einen konnte ich mancher Erwartung gar nicht standhalten, höchstens vom Kopf her, aber nicht auf der Bühne. Da hieß es die „Wunderfrau“, das „Fräuleinwunder“, blabla, was ich eben nicht war. Ich war ja sehr, sehr jung und noch dazu eine vom Theater kommende Schauspielerin, keine Entertainerin. Selbst Musical ist ja immer noch Theater und nicht einfach Entertainment. Ich habe ein paar kapitale Fehler gemacht, bin in viel zu großen Hallen aufgetreten, die meiner Entwicklung gar nicht entsprachen, weil ich auf Manager gehört habe. Ich brauchte einige Jahre, um erst einmal Person zu werden, um mir darüber Klarheit zu verschaffen, was ich letztendlich nach außen darstellen wollte. Am Theater spielt man eine Rolle in einem Stück. Wenn man seine eigene Show macht, muß man erst mal wissen, was der Charakter des Ganzen sein soll. Da habe ich, wenn ich zurückgucke, schon geschmacklose Sachen gemacht – leider im großen Rahmen. Vor Zehntausenden von Zuschauern sollte man nicht probieren.

Sie haben vor einiger Zeit ein Buch geschrieben. Soll's in die Richtung weitergehen?

Ja, ich fing vor zweieinhalb Jahren an, was zu kritzeln, nachdem der Henschel Verlag mich darum gebeten hatte. Es ist ein, wie ich hoffe, unkonventionelles Buch geworden, keine Autobiographie, eher Stationen aus meinem Leben. Es hat mir Spaß gemacht, auf mein Leben zu schauen, zu überprüfen, was aus mir geworden ist. Im Moment ist nicht dran zu denken, mit zwei Kindern noch was Neues ernsthaft zu betreiben. Früher habe ich gemalt. Mal ins Kino zu gehen ist jetzt das Maximum an Hobby.

Woran arbeiten Sie als nächstes?

Im November stehe ich in Los Angeles zusammen mit Richard Chamberlain vor der Kamera; die Geschichte eines alten Mannes, der an Aids stirbt, eine Off-Produktion. Im Januar geht es mit dem Konzertprogramm nach London in die Royal Festival Hall, danach Spanien, Italien und die USA.

Sie haben mit Berühmtheiten wie Peter Greenaway und Robert Altman gefilmt. Welche Filme haben Ihnen in letzter Zeit gefallen?

Low-budget-Produktionen sind oft interessanter und realistischer als der Hollywood-Mainstream. Davon abgesehen: Tarantino ist natürlich wunderbar, der schwarze Humor, mit dem Gewalt bei ihm gekoppelt ist. Dann fand ich „Trainspotting“ super, auch „Heat“. Oliver Stone verehre ich, seine Art der großen Aufmachung. „Independence Day“ fand ich hingegen unmöglich, allein die Dialoge... Wenn der menschliche Bereich im Film nur in den Kitsch spielt, finde ich das unerträglich. Genauso unerträglich wie extreme unrelativierte Brutalität, schon wegen der Kinder. Kinder zu haben hat nicht nur in dem Bereich alles verändert. Früher konnte ich mir solche Gewalt ansehen. Jetzt, wo ich begreife, wie real sie Kindern zustoßen kann, nicht mehr.

Welche wäre Ihre Traumrolle?

Jede realistische, die soziale Zustände abbildet. Verliererinnen stelle ich mir genauso interessant vor wie starke Personen, Leute, die einer Situation nicht standhalten. Interview: Anke Westphal