Wem gehört der Müll?

■ Den Preiskrieg um die Beseitigung des Abfalls werden viele Kommunen gegen die privaten Entsorger verlieren

Daß mit den Produkten der Wegwerfgesellschaft viel Geld zu machen ist, hat der „Grüne Punkt“ bewiesen. Kaum war die Idee geboren, schossen privatrechtlich organisierte Plastikentsorger wie Pilze aus dem Boden. Doch meist landeten die mühsam gesäuberten Behältnisse hinter der nächsten Landesgrenze oder gar in Müllverbrennungsanlagen in China. Die Verbraucher und die Kommunen haben das Nachsehen.

Jetzt wollen auch die Kommunen mitmischen. „Wertstoff“ heißt das neue Zauberwort, das aus dem ganz trivialen Müll ein heiß begehrtes Gut macht. Das neue Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz und die Privatisierung kommunaler Abfallämter führt zu einer neuen Entsorgungsstruktur des privaten und gewerblichen Mülls. Sind die Abfall-GmbHs der Kommunen dem Wettlauf um die Müllquoten gewachsen.

Alle Kommunen stellen derzeit Überlegungen an, wie sie Ausgaben reduzieren können. Die Kämmerer der deutschen Schuldenstädte entwerfen Konsolidierungsprogramme, die meist nicht mal ein Vierteljahr durchhalten. Noch vor ihrer Verabschiedung durch die politischen Gremien laufen neue Schulden durch mehr Arbeitslose und weitere Sozialhilfeempfänger auf.

Deshalb setzten viele Städte und Gemeinden auf die Privatisierung bislang kommunaler Aufgaben. Hierzu gehören vor allem die Abfallämter, die Stadtwerke, die Wasserversorgungsämter, der öffentliche Personennahverkehr (ÖPNV) und die Gasversorgung. Auch vor dem Verkauf von Museen, Bürgerhäusern, Altenheimen und anderen sozialen Einrichtungen wird nicht halt gemacht.

Ein Übergang zu dieser Entwicklung sind die städtischen „Gesellschaften mit beschränkter Haftung“. Ein mit diesen Einrichtungen verbundenes politisches Ziel war, den Mitarbeitern eine höhere Eigenverantwortung für ihre Bereiche zu übergeben und durch wirtschaftlich geschulte Geschäftsführer die ehemaligen Ämter „auf Vordermann“ zu bringen. Von der finanziellen Last sind die Städte zunächst nicht befreit. Erst der Verkauf der GmbH bringt das Geld in die leeren Kassen und erlöst den Stadtsäckel von den laufenden Personal- und Sachkosten.

Die Stadt Frankfurt am Main, mit 6,3 Milliarden Mark die höchstverschuldete Stadt der Bundesrepublik, hat zum Januar 96 ihr Abfallamt in die „Frankfurter Entsorgungs- und Service GmbH“ umgewandelt. Noch hält die Stadt einen Anteil von 51 Prozent, und der Geschäftsführer muß im Aufsichtsrat seine Geschäftspolitik rechtfertigen, in dem auch Vertreter der Stadtregierung sitzen.

Der neue Leiter hat eine schwierige Aufgabe übernommen. Zum einen soll er die bisherigen Aufgaben des Abfallamtes besser, zumindest aber genauso gut machen wie das Amt, zum anderen muß er alle Beschäftigten übernehmen und darf dabei die Gebühren nicht erhöhen. Gleichzeitig muß sich das städtische Unternehmen auf dem Markt gegenüber den privaten behaupten. Ein schwieriger Drahtseilakt.

Über kurz oder lang werden private Entsorger um den Frankfurter Müll buhlen. Die Frankfurter Entsorgungsfirma muß sich also selbst auch um den Müll aus dem Umland bemühen. Die Städte und Gemeinden des Umlandes haben allerdings ihrerseits jetzt schon Mühe, ihre eigenen Anlagen voll auszulasten. Und zur Zeit streiten sich der Frankfurter Umweltdezernent und Kämmerer Tom Koenigs (Bündnis 90/ Die Grünen) und der Umweltdezernent des Umlandverbandes Thomas Rautenberg (SPD) um den zukünftigen Biomüll.

Frankfurt hat den Bau einer Biokompostanlage beschlossen, an die der Umlandverband einen Teil seines Grünmülls liefern wollte. Der Dezernent aus dem Umland hat bei einem Preisvergleich große Unterschiede festgestellt und will nun erst mal abwarten, wie sich der Markt entwickelt. Der Preis, den er laut Vertrag an die Stadt Frankfurt zahlen müßte, ist ihm mittlerweile schlicht zu hoch. Er ließ sämtliche Projekte und Bauvorhaben zur Biomüllkompostierung stoppen.

In Düsseldorf hat die Stadtregierung eine ansässige private Papierrecyclingfirma gezwungen, ihren Restmüll bei der örtlichen Stadtreinigung abzuliefern – unter Androhung eines Zwangsgeldes von 30.000 Mark. Begründung: Erstens müßten die stadteigenen Entsorgungsanlagen ausgelastet werden, sonst steigen die Gebühren, und zweitens sei der Müllexport umweltpolitisch nicht zu verantworten. Für die Papierfirma ist eine Restmüllentsorgung ins Ausland mit fast 250 Mark pro Tonne billiger als bei der nahen städtischen Anlage. Jetzt sollen die Gerichte entscheiden, wer den Zuschlag erhält.

Da das neue Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz die Entsorgung des Gewerbemülls dem freien Markt überläßt, gehen die kommunalen Entsorger am Ende mit Sicherheit leer aus. Denn nicht nur die kommunalen Entsorger haben in Anlagen investiert, sondern auch große Stromlieferanten wie VEW, RWE oder Veba.

Natürlich unterbieten die Multis locker die Preise der Kommunen. Denn weder müssen sich die Privaten mit den Politikern rumschlagen, noch haben sie mit Personalräten zu kämpfen, denen in den Kommunen mehr Mitbestimmungsrechte eingeräumt werden als bei Privaten. Zudem ist ihre Lohntüte dort meist voller.

Das Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz ist also ein Freibrief für die Selbstbedienung der Strommultis im Abfallgeschäft. Die Kommunen, die den Preiskrieg nicht gewinnen können, und der Umweltschutz bleiben wieder mal auf der Strecke. Müll vermeiden, wie es vollmundig im Gesetz heißt, hieße eine noch geringere Auslastung der verschiedenen Entsorgungsanlagen, ob sie nun recyceln oder verbrennen. Die Billiganbieter lassen den Müll über weite Strecken von einem Bundesland zum anderen oder sogar außer Landes transportieren. Und ob der Gewerbemüll zukünftig umweltfreundlich entsorgt werden muß steht auch nicht im Gesetz. Die „Grüne Punkt GmbH“ hat schon einmal vorgemacht, wie es um die Selbstverpflichtung der Industrie steht. Jeden Tag werden Tausende von Tonnen in die Dritte Welt gekarrt und landen dort im freien Gelände – oder in Verbrennungsanlagen mit hohem Dioxinausstoß. Es ist eine Frage der Zeit, bis die ersten Skandale auftauchen. Die Zeche werden wieder die Verbraucher zahlen. Mal sehen, welches Umweltlogo sich die Industrie für ihre Selbstverpflichtung in Sachen Umweltschutz diesmal einfallen lassen wird. Rosemarie Oswald

Die Autorin ist Stadtverordnete der Grünen im Frankfurter (Main) Rathaus.