Hunderttausende zwischen den Fronten

■ Nach schweren Grenzgefechten droht sich der Konflikt in Ostzaire zum Krieg auszuweiten. Zaires Premier bricht diplomatische Beziehungen zu drei Nachbarländern ab. 200.000 Flüchtlinge entkamen nur knapp dem Kreuzfeuer

Gisenyi/Nairobi (rtr/dpa) – Die Kämpfe in Ostzaire drohen die ganze Region in einen Krieg zu verwickeln. Nach Angaben von Hilfsorganisationen gab es gestern heftige Grenzgefechte zwischen ruandischen und zairischen Truppen. Zaire hatte zuvor die diplomatischen Beziehungen zu seinen östlichen Nachbarländern Uganda, Ruanda und Burundi abgebrochen. Nun droht die Versorgung von rund 700.000 Flüchtlingen in der Region um die Provinzhauptstadt Goma und der ansässigen Bevölkerung in den nächsten Tagen unmöglich zu werden. Zudem sind nach Angaben einer UN-Sprecherin 210.000 Flüchtlinge in einem Camp, 54 Kilometer nördlich von Goma, gestern ins Kreuzfeuer zwischen Rebellen und der zairischen Armee geraten. Sie flüchteten aus dem umkämpften Lager in Katale.

Ruandische Truppen sollen in die ostzairische Stadt Goma eingedrungen sein, sich nach heftigen Artilleriegefechten aber wieder zurückgezogen haben. Unterdessen wurde auch die gegenüber von Goma liegende ruandische Stadt Gisenyi beschossen; auch Tausende Bewohner von Gisenyi befinden sich nun auf der Flucht. Die Hilfsaktionen des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz (IKRK) im Krisengebiet sind fast vollständig zum Erliegen gekommen. „Das Problem sind nicht nur die Kämpfe, sondern die allgemeine Anarchie und die Plünderungen“, so IKRK-Sprecher Rolin Wavre.

Zaires Premierminister Kengo Wa Dondo erklärte gestern, daß vor allem Ruanda weite Teile Ostzaires annektieren wolle. Das von Tutsi dominierte Militär unterstütze dabei die ebenfalls zu den Tutsi gehörenden Rebellen. Zaire hat inzwischen die Teilnahme an einem Krisengipfel ost- und zentralafrikanischer Staaten abgesagt, der sich kommenden Dienstag in der kenianischen Hauptstadt Nairobi mit dem schweren Konflikt und dem Flüchtlingselend beschäftigen soll. Seine Regierung, so Zaires Premier, werde an keinerlei Verhandlungen mit Ruanda und dessen Verbündeten Uganda und Burundi teilnehmen, solange fremde Truppen Teile Zaires besetzten. Die drei beschuldigten Länder dementierten, an einer Aggression gegen Zaire beteiligt zu sein.

Bundesaußenminister Klaus Kinkel hat an die Völkergemeinschaft appelliert, in Zaire eine zweite Ruanda-Tragödie zu verhindern. Zudem appellierte er an Zaire, doch an dem Krisengipfel in Kenia teilzunehmen. ds Tagesthema Seite 3