Ziemlich nichtssagend

■ Der Spanier Javier Marias las aus „Mein Herz so weiß“

Die euphorischen Besprechungen von Javier Marias' neuem Roman im Literarischen Quartett und allen Groß-Feuilletons machte es möglich, daß sich Mein Herz so weiß hierzulande zum Bestseller entwickelte. Liegt es nun am Kaufanreiz per Mattscheibenlob allein, oder hatte das gedruckte Werk seine Finger mit im Spiel, als es um die Gunst der Käufer und dann vielleicht Leser ging? Oder traf der Autor ungewollt einen Nerv der Zeit, als er sein Thema fand: Die Wandlung von etwas zufällig Aufgeschnapptem zur dominanten Flause im Kopf?

Auch wenn der Leser phasenweise in den Bann aufgedrängter Unwissenheit, die er mit dem Protagonisten teilt, versetzt wird, ist Mein Herz so weiß ein bestsellerfeindlich geschriebenes Buch. Betont nachdenklich bis zum 3. Höhengrad verfehlen weitgespannte Sätze jedes narrative „Es ist wie es ist“ um Längen, die Außenwelt verkürzt sich perspektivisch auf intimes Gewahrwerden, meistens von Gehörtem. Denn der Beruf des Protagonisten ist der Lauschberuf per se: Als Simultanübersetzer versteht er nur selten das, wovon er gerade redet. Um so genauer hört er aber hin, wenn er nicht gerade überträgt.

Der Ich-Erzähler, ein frischverheirateter, hochgebildeter, nach außen gleichmütig auftretender Mensch, unterliegt auf eine etwas schlaffe Tour den Flausen in seinem Kopf, die sich, ausgehend von einer zufällig belauschten Unterhaltung in Kuba, immer enger um die Figur seines Vaters und dessen tote Ex-Gattinnen spinnen. Er denkt viel über Schuld, aber nie über Sühne nach. Diese neurotische Lust dringt scheinbar tief in Reflexionsbahnen ein, die, guckt man allerdings genauer hin, ziemlich nichtssagend sind. Und am Ende des Romans gibt der Erzähler zu, daß er das Opfer von Erzählungen geworden ist, die er eigentlich nicht hören wollte. Manchem Leser mag es genauso gehen.

Das Literaturhaus war Samstag abend bis zum letzten Platz gefüllt, und der Autor traf auf die Minute pünktlich und damit viel zu spät ein. So mußte ich zwei Stunden später das tun, was der Protagonist des Romans am besten kann: lauschen. „Der Autor durfte rauchen, wir aber nicht.“ „Das war ein Zwiegespräch, keine Diskussion.“ Im Bus berichteten mir zwei schick gekleidete Jungzwanzigerinnen, die aus der Lesung kamen: „Der Autor meinte, das, was im Roman passiert, ist nicht wichtig, berührt ihn auch gar nicht.“ „Was ist ihm denn wichtig gewesen?“ fragte ich. Doch das hätten sie nicht so genau verstanden. Aber das Buch wollen sie jetzt lesen. Da hat ihnen der Autor ja was Schönes eingeflüstert.

Stefan Pröhl