Hausfrauen contra Patina

■ Bremer Tanzherbst begann mit Überraschungen: amerikanischem Onkel-Toms-Hütte-Kitsch und Gelächter bei Linkes Paradiesvögeln

Glutrot leuchtet der Himmel; riesig-gelb neigt sich die Sonne über den Bühnensüdstaaten dem Untergang zu. Die Zeit für Gospels und Spirituals ist angebrochen, denn es ist Abend geworden im Theater am Goetheplatz. Ein Abend von Alvin Ailey selig und mit einer Company von 18 quicklebendigen TänzerInnen, die zur Eröffnung des achten Bremer Tanzherbstes angetreten sind, die „Revelations“ aufzuführen, was so viel heißt wie „Offenbarungen“ oder „Enthüllungen“ und uns lehrt, daß neben den Philosophen auch die Choreographen die Welt immer nur verschieden interpretiert haben.

Im Programm der in Bremen zu Ende gegangenen Europatournee des berühmten „American Dance Theater“ aus New York liegt der Mittelpunkt der Welt noch immer im weiten Land der Plantagen und Hütten des amerikanischen Südens. Denn von hier brach der 1989 verstorbene Company-Gründer Alvin Ailey in den 50er Jahren auf, um das Tanzen und Choreographieren zu lernen und dem schwarzen Amerika mit Inszenierungen wie „Cry“ oder vor allem den „Revelations“ mehr als ein Denkmal zu setzen.

Für die an das deutsche Tanztheater von Bausch bis Kresnik gewöhnten Augen und Ohren fällt zunächst auf, daß im „American Dance Theater“ der Ailey-Nachfolgerin und Nachlaßpflegerin Judith Jamison die Musik nicht zum Tanz eingesetzt, sondern zur Musik getanzt wird. In den Choreographien vereinen sich die Elemente des Modern Dance und Figuren des klassischen Ballett mit Anleihen aus dem Standard- und dem Showtanz zu einer gefallenden bis gefälligen Melange aus tänzerischer Eleganz und Athletik, aus technischer Perfektion und fragwürdig gewordenem Inhalt. Zwar ist es heute kaum noch vorstellbar, welche Wirkung etwa Aileys Opus magnum „Revelations“ gehabt haben muß, als er es 1960 (!) herausbrachte und in Zeiten von Rassentrennung und Kirchenbrandschatzungen den Glanz und das Elend des ländlichen Afro-Amerika mit einer Choreographie zur Hochkultur erklärte. Doch das Verdienst von einst hat inzwischen Patina angesetzt, die Szenerie rückt in die Nähe von Onkel-Toms-Hütte-Kitsch, das Ganze ist trotz der Vitalität des Ensembles bloß noch Folklore und geriet in Bremen zum frenetisch gefeierten Ausflug ins Tanztheatermuseum.

Die Party ist vorbei, die Gäste tanzen längst anderswo. Übrig bleiben Dreck, Wischlappen und die Frauen, die ihn benutzen müssen. Susanne Linkes Revelation/Offenbarung heißt „Frauenballett“ und wurde 1981 uraufgeführt. Für den Tanzherbst und zum Prolog für ihre Neu-Inszenierung „Heisse Luft“ hat die Leiterin des Bremer Tanztheaters ihr Enthüllungsstück über das Los der Hausarbeit neu einstudiert. Doch im Gegensatz zu den Aileys spielt der Staub hier nur als Bühnenmetapher eine Rolle.

Sieben „Hausfrauen“ in Unterröcken zwischen den nachtschwarzen Prospekten. Sie falten und legen bunte Stoffbahnen, breiten sie auf der Bühne aus, tippeln und robben von links nach rechts und wieder zurück und ergehen sich in einer Tätigkeit, die keinen Anfang und kein Ende hat. Zwei Männer im Anzug gesellen sich hinzu. Die Schulterwirbel gekrümmt und doch in herrischer Pose deplazieren sie sich selbst und zwei Stühle auf der Bühne und stören allein durch ihr Dasein. Die „Hausfrauen“ indes brechen manchmal kurz aus und posieren schön, und manchmal sagen sie „mir wird das alles zu viel“, doch dann fallen sie in dieser subtil dramatisierten und mit zahlreichen komödiantischen Einsprengseln garnierten Choreographie zurück in das Dämmer zwischen Sinnentlehrung und Notwendigkeit, zwischen knechtender Reproduktion und noch nicht ganz verlorener Illusion. Kaum größer deshalb konnte der Kontrast sein zu dem, was nach der Pause folgte.

Von Stoffen und Menschen wollte Susanne Linke in ihrer neuen Choreographie „Heisse Luft“ erzählen. Herausgekommen ist nach einer nervös machend kurzen Probenzeit ein Allegoriencocktail auf Paradiesvögel und andere Gecken, auf die Mode und die Eitelkeit, auf Macht und Ohnmacht. In einer überaus kurzweiligen und zugleich hintergründigen Bilderfolge flanieren Kardinäle und Sumo-Ringer, Hunde und Snobs, Fetischisten, Fabelwesen und Muselmanen in einer choreographischen Rasanz über die Bühne, der beim ersten Mal kaum zu folgen ist. Mehr als bloß unterstützt durch Francisco Pimentels vor Einfallsreichtum nur so strotzenden Stoffkreationen, die Gaze, Sackleinen, Samt und Sonders in Meere, Monarchenkostüme oder Mönchskutten verwandeln, kreiert die Linke eine direkt aus dem Alltagsleben abgeguckte Märchenwelt. Mit einer alles durchwirkenden Ironie und einer geradewegs wundersamen Leichtigkeit läßt Susanne Linke Geschlechtergrenzen verschwimmen, macht Unterdrückungsmechanismen durch Komik sichtbar und formuliert das Hohe Lied auf den Unernst.

Nie in ihrer Bremer Zeit wurde eine Choreographie Susanne Linkes vom Publikum so begeistert aufgenommen wie „Heisse Luft“, und selten war dieses einhellige Urteil so berechtigt.

Christoph Köster