Die PDS hat ihr Brot im Safe

Der Strategiekongreß der Partei über Fragen, die keine mehr sind  ■ Von Jens König

Das Plakat ist nicht zu übersehen. Die großen weißen Buchstaben heben sich deutlich vom schwarzen Untergrund ab. „Regierung stoppen, nicht ABM“, steht darauf und darunter in knalligem rot: PDS. Der alte Mann am Rednerpult ist der einzige im Saal, der das Plakat nicht sieht – es hängt genau hinter ihm. Vielleicht steuert er deswegen so unbeirrt dem Höhepunkt seiner Rede zu. „Die Weltrevolution steht nicht auf der Tagesordnung, Genossen. Sie ist nicht mal am Horizont zu sehen.“ Kann man sich da so sicher sein?

Michael Brie, einer der theoretischen Köpfe der Partei, hatte ein paar Stunden zuvor in einem der Grundsatzreferate des Strategiekongresses am Wochenende in Berlin von der Demokratisierung der Demokratie gesprochen und damit ins Wespennest gestochen. Brie hatte eine Selbstverständlichkeit verkündet, die für viele in der Partei keine ist: Daß der Umbau des politischen Systems die Voraussetzung für Veränderungen der Zwänge innerhalb der Wirtschaft ist. Sofort hagelte es auf ihn nieder: „Wir leben in einer Diktatur des Privateigentums“, rief einer ganz entrüstet, „da kann es keine Demokratie geben.“ In den USA gehe doch kaum noch einer wählen, sagte der nächste. „In Japan auch nicht!“ rief einer hinterher. Jetzt waren alle Dämme gebrochen: „Hier herrscht der Imperialismus.“ – „Das internationale Kapital hat sich bereits organisiert, wir Linken müssen uns auch international organisieren.“ – „Denkt an die ökonomische Basis, Genossen!“ Das klobige Haus am Köllnischen Park war in diesem Moment genau das, was es früher einmal war: die Parteihochschule der SED.

Lothar Bisky, den nichts so leicht aus der Ruhe bringt, platzte der Kragen. „Wir sind eine 4,4-Prozent-Partei“, rief der PDS- Vorsitzende laut in den Saal, „und wir haben nicht die Wahrheit gepachtet. Es gibt kein revolutionäres Subjekt, das nur darauf wartet, von uns wachgeküßt zu werden.“ Michael Brie versuchte, die grundlegenden Differenzen des Politikverständnisses in ein schönes Bild zu kleiden. „In der PDS ist es so: Im verschlossenen Safe liegt ein Brot. Alle haben Hunger und wollen an das Brot ran. Aber nur die eine Hälfte sucht folgerichtig nach dem Schlüssel. Die andere Hälfte sagt: Der Schlüssel? Interessiert uns nicht.“ Dieses Bild fanden viele treffend; im Verlauf der zwei Tage wurde es noch öfter zum besten gegeben. Auf eine naheliegende Frage kam keiner: Was macht die PDS eigentlich mit einem Brot im Safe? Wahrscheinlich steht sie hier in einer weitgehend unbekannten Traditionslinie des sozialistischen Bäckereiwesens.

Zugegeben, der hier geschilderte Streit war der Tiefpunkt des Strategietreffens, das allgemeine Diskussionsniveau war höher. Aber diese Auseinandersetzung beschreibt das doppelte Dilemma der PDS: Zum einen ist sie ist auf der Suche nach einer politischen Identität als einer anderen Partei, und dabei ist sie mit einem Widerspruch konfrontiert, den sie nicht aufheben kann: Sie agiert in einem politischen System, in das sie eingebunden ist, sie strebt aber zugleich die Aufhebung dieses Systems an. Zum anderen braucht die Mehrheit in der PDS gar keine politische Programmatik und keine Sozialismuskonzepte. Für sie klingt das Wort „Sozialismus“ wie „Gott“, es ist Glaube und Tradition, ein Schutz gegen alles Fremde, das von draußen gegen das traute Heim anbrandet.

Gysi und Bisky kennen ihre Partei. Und so hatten sie für diesen Strategiekongreß vorgesorgt. Die wichtigen strategischen Fragen der PDS haben sie im Einführungsreferat (Bisky) und im Schlußwort (Gysi) beantwortet: Ablösung der Kohl-Regierung 1998 mit einem Linksbündnis; Regierungsbeteiligungen auf Länderebene; eine neosozialistische Alternative zum Neokonservatismus und Neoliberalismus. Die drei entsprechenden Leitanträge für den Bundesparteitag 1997 – zu den Wahlzielen 1998/99, zur Steuerpolitik und zur Arbeitsmarktpolitik – hat der Bundesvorstand schon lange verabschiedet. „Die strategischen Weichen sind – von manchen unbemerkt – bereits gestellt“, gibt Lothar Bisky ganz offen zu. Auf dem Strategiekongreß, der nichts zu entscheiden hatte, sollte sich die Basis austoben und Dampf ablassen, damit der Parteitag im Januar von prinzipiellen Diskussionen verschont bleibt. Die Partei hat ihre Führung nicht enttäuscht. Bei so bescheidenen Ansprüchen konnte der Parteichef mit dem Kongreß zufrieden sein: „Es hätte schlimmer kommen können.“