Magdeburger Modell für Arme

SPD, Bündnisgrüne und PDS-Abgeordnete proben den Ernstfall: den Einkauf zum Sozialhilfesatz. Zum Überleben reicht es, aber zum Leben?  ■ Von Jens Rübsam

Lohnt sich der große Einkaufswagen? Petra zögert ein wenig. Im Portemonnaie hat sie 14,44 Mark, den Sozialhilfetagessatz. Im Kopf hat sie einen Zettel mit den wichtigsten Sachen drauf. Brot will sie kaufen, das auf alle Fälle. Und was zum Belegen. Ob es noch für 'ne warme Mahlzeit reicht? Das kommt drauf an. Was Frisches soll's ja auch sein und was Hygienisches.

Für einen Tag ist Petra Sozialhilfeempfängerin. Wie auch Franziska, Klaus und Wolfgang. An all den anderen, den normalen Tagen, ist Petra (mit Nachnamen Pau) Landesvorsitzende der Berliner PDS, ist Franziska Eichstädt-Bohlig bündnisgrünes Mitglied des Bundestages, ist Klaus Böger Fraktionsvorsitzender der SPD, ist Wolfgang Wieland Fraktionssprecher der Bündnisgrünen; sind alle vier Spitzenverdiener. Böger mit rund 15.000 Mark brutto im Monat, Eichstädt-Bohlig mit gut 9.000 Mark. Wie es ist, mit 14,44 Mark am Tag auszukommen? Das wollen sie heute lernen. Der Arbeitskreis Wohnungsnot hat die Schnäppchenaktion im Kreuzberger MiniMal-Markt initiiert.

Da steht sie nun am Obststand und überlegt. Welche Apfelsorte kann sie sich leisten – Granny Smith oder Gala Royal? Dann geht's weiter zum Brotregal. Roggengenuß kostet 1,79 Mark, Hagenower Roggen ist ein bißchen billiger. Dazu kommt eine Packung Früchtetee, eine Lätta für 1,39 Mark, eine Packung Ja-Schinkenwurst, eine Büchse Bohneneintopf. „14,44 Mark, das ist verdammt wenig“, sagt Petra Pau. Nicht mal zu den Ostprodukten kann sie langen, „weil ich auf den Preis achten muß“. Für eine Rot- weiß-Zahnpasta reicht es dann doch noch.

Am Obststand ist Klaus Böger längst vorbei. Jetzt steht er vor dem Gefrierfach und muß selbst den geliebten Kochkäse wieder zurücklegen. „1,29 Mark, das ist zu teuer.“ In den Wagen kommen Ja-Butter (1,19 Mark) und der billigere Sahne-Käse. Franziska Eichstädt- Bohlig ist auch am Überlegen. Butter ist zu teuer, zum Aufsbrotlegen soll es doch was sein. Ja-Speisequark ist billig, 69 Pfennig, und auch der Magermilchjoghurt von Ja (25 Pfennig).

Wolfgang Wieland hat die Tempo-Taschentücher wieder zurückgelegt. „Markenprodukte kann ich mir nicht leisten.“ Statt dessen nimmt er Klopapier, Marke „Danke“, dreilagig. „Zur Not kann man sich doch auch damit die Nase putzen. Oder?“ Im Wagen hat Wolfgang Wieland doch ein Markenprodukt. „Thommy-Senf muß sein.“ Er mag einfaches Brot, nur mit Senf bestrichen. Aber Delikatessensenf müsse sein.

Die Einkaufstour wird zur Tortour. „Man muß ständig rechnen“, sagt Franziska Eichstädt-Bohlig. „Man packt Sachen in den Wagen und merkt erst später, daß man sie gar nicht bezahlen kann.“ Als Gutverdienende habe sie es da leichter. 300 bis 400 Mark gibt sie in der Woche für Lebensmittel aus, nicht eingerechnet die „bessere Flasche Wein“, die sie sich ab und an gönnt. Wolfgang Wieland geht es ähnlich. „200 Mark gehen schon bei einem Familieneinkauf am Samstag drauf.“ Da leistet er sich auch Ökoprodukte, wie beispielsweise die leckeren Öko-Bananen, die dreimal so teuer sind wie die MiniMal- Bananen (drei Stück 1,37 Mark).

Geschafft haben es am Ende alle. Franziska Eichstädt-Bohlig muß zwar die Flasche Öl (1,29 Mark) wieder zurückgeben, „weil ich sonst das Limit überschritten hätte“. 14,17 Mark hat sie bezahlt. „Süßes konnte ich nicht kaufen.“ Wolfgang Wieland liegt bei 13,50 Mark, was Warmes ist nicht dabei. Klaus Böger zahlt 12,27 Mark, „ich erinnere mich an meine Studentenzeit“. Petra Pau zahlt 13,65 Mark und erhält ein dickes Lob. Sie hat am effektivsten eingekauft. Eine Zeitung liegt bei ihr im Wagen.

Die Wagen sind längst ausgeräumt, die Waren liegen für den „Warmen Otto“ zum Abholen bereit. Brigtte Scheidt, die Initiatorin, sagt: „Sicher, man kann von dem Sozialhilfetagessatz überleben.“ Ob man davon leben könne, sei eine andere Frage.