"Er kann nicht genug Publicity kriegen"

■ Der HSV-Weggenosse Gert "Charly" Dörfel über den deutschen Wirtschaftswunder-Progatonisten Uwe Seeler, der heute 60 wird

Herr Dörfel, wie haben Sie Uwe Seeler kennengelernt?

Dörfel: Ich bin als 14jähriger immer ins Stadion gegangen. Da habe ich schon Uwe Seeler und die ganze HSV-Mannschaft verehrt. Uwe war ein Idol für mich. Ich hätte mir nie träumen lassen, mit diesen Großen einmal zusammenspielen zu dürfen. Das war wie ein Märchen aus 1001 Nacht.

Und wer war der Prinz?

Wir haben wie in einer guten Ehe funktioniert. Im Spiel bin ich immer auf ihn eingegangen. Wir haben uns blind verstanden. Ich wußte immer, wie er die Bälle haben wollte.

Wie denn?

Immer auf den langen Pfosten, auf den Fünfer gezogen. Meine Flanken waren nie sehr scharf, sondern gut getimt. So angeschnitten, daß sie noch durch zwei, drei Leute hindurchkamen. Die Flanken konnte ihm keiner so servieren, wie ich das gemacht habe. Das hat er selber zugegeben. Ohne mich herausheben zu wollen: Überwiegend hat er die Tore durch meine Flanken gemacht.

Hat er sich nach einer erfolgreichen Koproduktion bei Ihnen bedankt?

Ja, da waren wir wie Frau und Mann nach einer guten Nummer. Wenn es schön war, ist man sich entgegengekommen und hat sich sogar umarmt und abgeküßt.

Gab es nie Probleme?

Es gab auch Krach. Er meinte eine Zeitlang, daß ich zu füllig geworden wäre und mehr trainieren müßte. Einmal hat er mich angebrüllt, und ich hab zurückgeschrien: Wenn du nicht deinen Mund hältst, schlag ich die Flanken ein paar Zentimeter höher, dann renkst du dir den Hals aus. Aber wenn alle Ehen so gut funktionieren würden wie unsere Fußball- Ehe, dann würde es wenig oder gar keine Scheidungen geben. Nach einem Streit haben wir uns immer wieder zusammengerauft.

Waren ein paar Pfund Übergewicht wirklich der Anlaß für Streitigkeiten?

Uwe hatte oft harte Gegenspieler, die ihn gut abgedeckt haben. Es war dann schwierig, ihm die Bälle zu servieren, zumal er sich manchmal auch ungeschickt verhalten hat. Dann war er mit sich selbst nicht zufrieden und hat 'ne Flappe gezogen. Es war ja bekannt: Bevor Uwe nicht sein Tor gemacht hat, hat er mit sich und der Welt gehadert.

Seeler war kein eleganter Techniker. Hatte er deshalb Komplexe?

Im Training hat er öfter geschimpft, wenn wir unsere Technik in die Waagschale geworfen haben. Auch wenn wir im Spiel zuviel kombiniert haben, wurde er unruhig. Dann hat er geschrien: Was macht ihr für 'ne Scheiße, wir müssen nach vorne spielen. Er wollte es einfach und zweckmäßig: dieses Bullige. Technik war nicht seine Art, vielleicht war er deshalb auch ein bißchen eifersüchtig.

Hat die Mannschaft auf Seeler gehört?

Obwohl Jochen Meinke Spielführer war, hatte Uwe das Sagen. Er war der Wolf und wir sein HSV- Rudel.

Wie war Ihre Beziehung außerhalb des Spielfelds?

Ich konnte unangemeldet bei den Seelers ein- und ausgehen. Das hat natürlich die Freundschaft auf dem Feld noch mehr unterstrichen. Wir hatten keine Affenliebe, aber ich bin im Monat ein paarmal bei ihm gewesen und hab' sogar in seinem Swimmingpool gebadet.

War der Kontakt in allen Bereichen so eng?

Wenn es um geschäftliche Dinge ging, hat er sich distanziert. Ich wollte von ihm einmal eine berufliche Hilfestellung und bei adidas beginnen. Da hat er mich ignoriert. Das hat er auch bei anderen Mannschaftskameraden gemacht.

Können Sie sich erklären, warum Seeler sich nicht für Sie eingesetzt hat?

Ich war immer ein Fußball- Clown und ihm wahrscheinlich nicht seriös genug. Er hätte sich wahrscheinlich geschämt, mich weiterzuempfehlen. Ich war ihm wohl nur auf dem Sportplatz gut genug, war immer Mittel zum Zweck. Als die Flanken nicht mehr kamen, gab's auch keine Freundschaft mehr. Aber das ist Uwe: Was ihm peinlich werden könnte, davon distanziert er sich. Mit seiner Macht und seinen Verbindungen hätte er dem einen oder anderen, der Schwierigkeiten hatte, auch mal helfen können. Das hat er nie getan. Uwe ist nicht bereit, untergeordnete Freundschaften zu pflegen. Das hat sich auch bei meinem Abschied gezeigt. (Nachdem der HSV mit Georg Volkert einen weiteren Linksaußen geholt hatte, reagierte Dörfel ungehalten und mußte 1972 gehen, die Red.) Er hat tschüs gesagt und das war's. Es war keine Abschiedsszene, wie sie unter lang Verheirateten üblich ist. Das war eine abrupte Trennung.

In der Öffentlichkeit galt Seeler immer als Vorbild.

Das beschränkte sich aber nur auf den Sportplatz. Sonst konnte er sehr egoistisch sein. Er hatte so eine Bauernschläue und wußte stets, was für ihn das Beste war, um in der Öffentlichkeit gut wegzukommen. Uwe hat sich immer gut verkaufen können.

Er wirkt ja auch grundsolide. Erst die Lehre, dann mit 20 seine Ilka geheiratet.

Uwe wurde von allen gefördert. Die Presse hat ihn immer abgeschirmt, um ihn gut vermarkten zu können. Es gab keine öffentlichen Skandale. Uwe hat stets das Anständige und Saubere verkauft. Er wollte ein typisch deutscher Sportler und Kaufmann sein.

Ist er so bescheiden, wie er sich gibt?

Er verkauft sich als bescheiden. Das ist seine Rolle. Bei Schauspielern weiß man ja auch nie, wie sie wirklich sind. Uwe hat immer nur das Gute in den Vordergrund gestellt. Dabei konnte er auf dem Platz ein schimpfender Papagei sein. Da wurde er unangenehm, da konnte er ungerecht und ausfallend sein.

Seine Geschäftstüchtigkeit soll an Geiz grenzen.

Geschäftstüchtigkeit, Sparsamkeit und Geiz liegen dicht beieinander. Uwe hat sich was aufgebaut, und da gehört ein gewisser Geiz dazu. Er wird von seiner Ilka dirigiert. Die hält die Gelder zusammen. Wenn die Ehefrau auch noch eine gute Geschäftsfrau ist, ist das die halbe Miete.

Seeler versteigert den Hut von Luis Trenker für die Muskelschwundhilfe, wirbt für Handys und After-shave. Macht er alles?

Das wird immer turbulenter. Er ist wie 4711, „immer dabei“. Man müßte auch mal das eine oder andere ablehnen. Aber Uwe braucht die Publicity. In seinem Fall geht Öffentlichkeitsarbeit in Publicity- Geilheit über. Er kann nicht genug kriegen.

Jetzt ist er auch noch HSV-Präsident.

Uwe hat einen gewissen Gerechtigkeitssinn. Er versucht gerecht zu leiten und zu richten. Aber er mußte sich das alles hart erarbeiten: Er konnte früher nicht gut frei sprechen, das hat er sich auf der Rhetorikschule beigebracht. Er spricht heute viel fließender als früher.

Was wünschen Sie ihm zum 60. Geburtstag?

Trotz allem: Ich wünsch' ihm alles Gute.

Das Gespräch führten Rainer Schäfer und Clemens Gerlach