Bodenständig

■ Fußballidol mit begrenzter Sicht der Dinge: "Seeler pur - Uns Uwe wird 60" (20.15 Uhr, premiere, unverschlüsselt)

Die premiere-Autoren René Hiepen und Babak Milani standen vor einer kaum lösbaren Aufgabe: Anläßlich Uwe Seelers 60. Geburtstag mußten sie in einem Filmporträt nicht nur die fußballerischen Stärken des Mannes würdigen, der mehr WM-Endrundenspiele bestritten hat als jeder andere deutsche Spieler. Sondern sie mußten auch die Legende aufrechterhalten, daß dieser Mensch eine „Persönlichkeit“ sei. Und das ist natürlich schwer zu leisten, wenn der Hauptdarsteller diese Vorgabe mit jedem Satz, ja nahezu mit seinem gesamten Auftreten konterkariert.

Kein Wunder, daß Hiepen und Milani in ihrer Verzweiflung zu allerlei Superlativen greifen. So glorifizieren sie den jetzigen Präsidenten des Hamburger SV als „klassenlosen Fußballhelden“ (was auch immer sie damit genau gemeint haben mögen) und behaupten, er habe „die Ideale des deutschen Fußballs (verkörpert) wie kein anderer“.

Sieht man einmal ab von dem, was hier so alles gesagt wird, ist „Seeler pur“ durchaus kurzweilig. Die Autoren hatten immerhin den Ehrgeiz, die Karriere des Mittelstürmers nicht allein anhand sattsam bekannter „Wochenschau“- Ausschnitte nachzuzeichnen, und gruben beispielsweise unschlagbare Interviews aus den sechziger Jahren aus. Das zwecks Charakterisierung Seelers hier am häufigsten verwendete Wort ist „bodenständig“; nicht nur Hiepen/Milani und verschiedene Interviewpartner gebrauchten diese, streng genommen, vernichtende Beleidigung; nein, auch der Jubilar selbst schätzte sich so ein: als öden Zeitgenossen also, der eine begrenzte Sicht der Dinge hat.

Der Höhepunkt des Films ist eine Szene aus der HSV-Kabine: Vor der letzten Begegnung bei Bayern München tauchte der Präsident dort auf, um allen Spielern die Hand zu schütteln und ihnen ins Bewußtsein zu hämmern, daß die Atmosphäre schön sei, das Haus voll, der Platz gut und daß die Bayern auch nur mit Wasser kochten.

Während er diese Worte wiederholt, versucht er, ihnen durch Betonung, Gestik und Mimik eine ganz besondere Bedeutung zu verleihen. Aber all diese Bemühungen wirken derart unbeholfen, daß die meisten Spieler irritiert dreinblicken. Gerade so, als ob sie sagen wollten: O Gott, was will der Kasper bloß? Und tatsächlich wirkt Seeler hier wie ein alter Clown, der seine besten Jahre hinter sich hat. Verdammt deprimierende Szene. René Martens