Ich, Bokassa, Kaiser, Legionär – und Gott

Der steile Aufstieg und der tiefe Fall des zentralafrikanischen Gewaltherrschers Jean-Bedel Bokassa  ■ Von Dominic Johnson

Er war der höchstdekorierte schwarze Soldat Frankreichs und der größenwahnsinnigste Diktator Afrikas. Er preßte unermeßliche Reichtümer aus seinem darbenden Land und hielt sich für einen Apostel Jesu Christi. Mit Jean-Bedel Bokassa, zeitweise „Kaiser“ in der von ihm zum „Reich“ umgetauften Zentralafrikanischen Republik, ist am Sonntag eine der schillerndsten Figuren afrikanischer Politik gestorben.

Der tödliche Herzinfarkt des 74jährigen löste unter den drei Millionen Einwohnern seines Landes wenig Emotionen aus. Zurückgezogen hatte der tiefgefallene Ex- Präsident nach seiner Entlassung aus dem Gefängnis 1993 gelebt, obwohl er immer wieder davon träumte, seine frühere Größe zumindest auf finanzieller Ebene wiederzuerlangen. „Ich bin Kaiser“, erklärte er der Zeitung Le Figaro einen Tag nach seiner Freilassung. Und gegenüber Jeune Afrique meinte er: „Es gibt viele Gemeinsamkeiten zwischen Napoleon und mir. Er war ein Offizier aus einer armen Familie wie ich, und er wurde Kaiser. Ich habe meine Sachen wie Napoleon gemacht: auf großer Stufe.“

Seine Karriere begann der 1921 geborene geistige Nachfahr Bonapartes in der französischen Armee, zu der er als 18jähriger im Mai 1939 kurz vor dem Zweiten Weltkrieg stieß. Als Angehöriger der Truppen des „Freien Frankreich“ unter General de Gaulle nahm er 1944 an der alliierten Landung in der Provence teil. In den 50er Jahren schlug er sich für seine Kolonialmacht in Indochina. Viel später, als er Präsident war, hingen in Bokassas Büro zwei Bilder von ihm: einmal als barfüßiger Hilfssoldat – und einmal als Träger des Großen Kreuzes der Ehrenlegion.

Als die Provinz Ubangi-Shari in Französisch-Äquatorialafrika 1960 unter dem zum Staatsnamen mutierten Arbeitstitel „Zentralafrikanische Republik“ unabhängig wurde, holte Präsident David Dacko den großen Helden heim, um eine Armee aufzubauen. Dieser Aufgabe widmete sich Bokassa mit so großer Begeisterung, daß die konkurrierende Gendarmerie Ende 1965 beschloß, Dacko und Bokassa zusammen zu stürzen. Doch das Ergebnis dieses „Sylvesterputsches“ sah anders aus: Bokassa stürzte die Gendarmerie und Dacko. Ab 1. Januar 1966 war der Unteroffizier a.D. Präsident. Drei Tage später löste er das Parlament auf, annullierte die Verfassung und verkündete die „Abschaffung der Bourgeoisie“. Es war der Beginn einer der schrecklichsten Diktaturen, die Afrika je erlebte. Bokassa herrschte wie ein absolutistischer Fürst. Seine Bürger lebten hauptsächlich von Subsistenzwirtschaft in miserablen Hütten. Bokassa baute sich Paläste im Stile von Versailles.

Ich habe meine Sachen wie Napoleon gemacht

Das in den 70er Jahren entstandene Schloß Berengo, 80 Kilometer von der Hauptstadt Bangui entfernt, war nicht nur Prunkbau, sondern Geschäftszentrum eines Millionärs. „All die schönen Dinge!“ erinnerte sich Bokassa später nach seinem Sturz. „Es gab dort Schokoladenfabriken, Kaffeefabriken, Holzfabriken und einen Schlachthof mit einer Kapazität von 150 Ochsen pro Tag. Ich verkaufte das Fleisch mit einem großen kanadischen Flugzeug an die Präsidenten Bongo (von Gabun) und Mobutu (von Zaire). ... Ich hatte 6.000 Ochsen und 30.000 Stück Federvieh in Berengo. Ich wollte auch eine Schallplattenfabrik bauen und eine für Marmor, aber der Putsch hinderte mich daran.“

Bokassa verstand die Reichtümer seines Landes als Privatbesitz. Von einem Staatswesen hatte der gelernte Soldat keinen Begriff. 1972 ernannte er sich zum „Präsidenten auf Lebenszeit“, 1976 zum „Marschall“; im gleichen Jahr änderte er den Staatsnamen in „Zentralafrikanisches Kaiserreich“, und ein Jahr danach, am 4. Dezember 1977, ließ er sich und seine Frau Catherine zum Kaiser und zur Kaiserin krönen. Die Botschafter der ganzen Welt traten zum rauschenden Fest an, das mit allen Folgen – von den Kronjuwelen über den Thron in Adlerform bis zum weiteren Ausbau von Berengo – 800 Millionen US-Dollar gekostet haben soll, bei einer Auslandsschuld des Landes von damals 600 Millionen.

„Bokassa I.“, wie er ab jetzt hieß, war ein Verschwender und Playboy ersten Grades, aber auch ein brutaler Gewaltherrscher. Diebstahl war laut Gesetz mit dem Abschneiden von Gliedmaßen zu bestrafen. Seine Mitstreiter der ersten Stunde eliminierte Bokassa einen nach dem anderen. Politische Häftlinge vegetierten in mittelalterlichen Verließen, wenn sie nicht einfach ermordet wurden. 1979 kam es zum ersten Mal zu größeren Unruhen, bei deren blutiger Niederschlagung Hunderte von Schülern und Studenten „verstümmelt, gefoltert, unter Peitschenhieben niedergeschossen oder mit Nahschüssen aus der Pistole getötet“ wurden, wie im Sommer 1979 eine internationale Untersuchungskommission befand. Nach Bokassas Sturz soll in Berengo eine Kühltruhe mit Leichen gefunden worden sein – ausgenommen und zum Verzehr vorbereitet.

Zu Frankreich unterhielt Bokassa eine eher infantile Beziehung. Er erstand im Mutterland Schlösser und Villen, kaufte ganze Geschäftsauslagen von Juwelen und Fernsehgeräten. Sein Leben lang behielt der Diktator die französische Staatsbürgerschaft – was später für Frankreich peinlich war, da Bokassa damit theoretisch für seine Verbrechen vor ein französisches Gericht hätte kommen müssen.

General de Gaulle war für den Diktator „Papa“. Jacques Foccart, Afrikaberater des französischen Präsidenten, erzählt in seinen Memoiren von Bokassas erstem Staatsbesuch in Paris am 14. Juli 1966: „,Guten Tag, Herr Präsident‘, sagt der General. ,Guten Tag, Vater‘, antwortet der Gast. ,Hatten Sie eine gute Reise?‘ ,Ja, Papa‘. ,Hören Sie‘, sagt der General, ,ich schätze die Gefühle, die Sie für mich hegen, aber ich bitte Sie, mich nicht Papa zu nennen. Nennen Sie mich Herr Präsident wie alle anderen – oder, da Sie ein Veteran des Freien Frankreich sind, Mon Général‘. ,Ja, Vater.‘“

Bande besonderer Art einten Bokassa mit der französischen Aristokratenfamilie Giscard d'Estaing. In den 20er Jahren leitete der Industrielle Edouard Giscard d'Estaing ein Firmenkonglomerat, zu dem unter anderem die „Waldgesellschaft Sangha-Ubangi“ gehörte, die über beträchtliche Holzkonzessionen in Zentralafrika verfügte. Sie ließ 1927, als der spätere Präsident sechs Jahre alt war, Bokassas Vater wegen Widerstandes hinrichten. Nachdem in den 70er Jahren Uran im Osten des Landes gefunden wurde, entstand 1975 das Gemeinschaftsunternehmen URCA („Uran der Zentralafrikanischen Republik“) – beteiligt war unter anderem eine „Französische Urangesellschaft“ unter Leitung eines gewissen Henri Giscard d'Estaing. Und Valéry Giscard d'Estaing, der Bruder von Henri und Sohn von Edouard, wurde als französischer Präsident zwischen 1974 und 1981 zum Intimfreund des Kaisers – eine Freundschaft, über die schließlich beide stürzten.

Valéry Giscard d'Estaing wurde nämlich im Wahlkampf von 1981 gegen François Mitterrand zum Verhängnis, daß er beträchtliche Diamantengeschenke von Kaiser Bokassa angenommen hatte. Die Enthüllung ließ ihn die Wahl verlieren. Es steht zu vermuten, daß Bokassa selber dahinterstand: Denn er blieb bis zu seinem Tod davon überzeugt, Präsident Giscard habe den von französischen Truppen unterstützten Putsch gegen ihn im September 1979 veranlaßt.

Er hat unser Land durch seine Exzesse ruiniert

Um 23.55 Uhr am 20. September 1979 proklamierte Bokassas Vorgänger David Dacko die Absetzung des Kaisers. Bokassa weilte gerade in Libyen, wo er angeblich Oberst Muammar al-Gaddafi Militärstützpunkte in seinem Land anbieten wollte – damit wäre der von Frankreich gegen Libyen unterstützte Tschad eingekreist gewesen, was einigen Mutmaßungen zufolge Frankreich dazu bewog, Bokassa zu eliminieren. Auf den Straßen der zentralafrikanischen Hauptstadt kam es zu Freudenfesten für Dacko und die mit ihm zusammen aus Tschad eingeflogenen französischen Soldaten. „Seit dreizehn Jahren“, rief Dacko in seiner ersten Rede, „ist das Land von jenem ausgebeutet worden, der sich hat zum Kaiser ernennen lassen und unser Land in den Augen der Welt durch seine Exzesse, seine Albernheit und seinen Größenwahn zunächst erniedrigt und völlig ruiniert hat. Die Wirtschaft ist zerstört. Es gibt keine Straßen mehr, keinen Handel, keine Produktion.“

Da Frankreich Bokassa nicht aufnahm, floh der Ex-Kaiser in die Elfenbeinküste. 1986, im Pensionsalter angelangt, kehrte er in sein Heimatland zurück, ließ sich verhaften und vor Gericht stellen. Im Juni 1987 nahm der Ex-Diktator die Todesstrafe entgegen. Die Strafe wurde zu lebenslanger Haft umgewandelt, dann zu 20, schließlich zu 10 Jahren.

Tatsächlich wurden es nur sieben. Am 1. September 1993 schritt Bokassa als freier Mann durch die Tore des Militärgefängnisses in der Kaserne der zentralafrikanischen Präsidialgarde und zog ins Gästehaus der Regierung. Präsident André Kolingba hatte ihn entlassen – eine Geste des bösen Willens: Er hatte eben die Präsidentschaftswahl verloren und sich nur durch französischen Druck dazu überreden lassen, die Macht auch wirklich abzugeben. Mit Bokassa wollte er seinem Nachfolger und Intimfeind Ange Patassé einen vergifteten Kelch überreichen.

Dazu war Bokassa aber schon zu alt. Im Gefängnis hatte er sich von alten Waffenbrüdern aus der französischen Armee, die als Militärberater in der Zentralafrikanischen Republik lebten, mit Rotwein und Parfüm versorgen lassen. Er las die Bibel und behauptete, Papst Paul VI. habe ihn 1970 auf einem Staatsbesuch zum dreizehnten Apostel Jesu Christi geweiht.

Aus Frankreichs erstem Soldaten und Afrikas erstem Kaiser war der erste Prophet Gottes geworden. Er sprach davon, „wie die Israeliten“ als Bauer und Hirte leben zu wollen. Er schimpfte auf Frankreich – auf Valéry Giscard d‘Estaing wie auch auf den sozialistischen Politiker Bernard Tapie, der in den 80er Jahren die Reichtümer seiner französischen Schlösser verkauft habe und damit erst zum Millionär aufgestiegen sei. Er versuchte, Schulden einzutreiben, bat den zentralafrikanischen Staat um „Rückgabe“ seines Eigentums und träumte von der glorreichen Vergangenheit. „Großartig, großartig! Oh, wirklich großartig!“ rief er entzückt, als er in Anwesenheit der Interviewerin von Jeune Afrique zum ersten Mal nach seiner Freilassung wieder Fotos von seinem Palast in Berengo sah. „Das Satellitentelefon ist immer noch da? Oh! Großartig ... Wissen Sie, damit kann ich in der ganzen Welt anrufen, ohne zu bezahlen!“