Giftiger Rauch durch PVC im Emsland

Zehn Tonnen Polyvinylchlorid, Aluminium und 3.000 Liter chlorhaltige Lösungsmittel ziehen als Rauchfahne über Lingen. Schulen, Kindergärten und Wohnungen werden evakuiert  ■ Von Reiner Metzger

Berlin (taz) – Am Montag morgen um 8.27 Uhr schrillte bei der Polizeiinspektion Lingen das Telefon: Brand bei der Erwin Müller KG. Die Firma stellt Locher oder Tacker für Büros her wowie Kunststoffteile wie Heizungs- oder Lüftungsgitter. Bei Reparaturarbeiten in der Lackiererei brach gestern ein Feuer aus und fraß sich schnell in Richtung Lagerhalle vor. Dort stapelten sich zehn Tonnen geformte Profile aus dem Kunststoff Polyvinylchlorid (PVC). Wenn PVC bei Temperaturen von einigen hundert Grad verbrennt, entstehen die gefürchteten Dioxine. Die als Seveso-Gift bekannt gewordenen Verbindungen sind giftig und gelten schon in kleinsten Mengen als krebserregend. Aber auch Salzsäure entsteht bei PVC- Bränden.

Die Behörden in Lingen gaben also Umweltalarm. Die umliegenden Schulen und Kindergarten wurden evakuiert, ebenso die Wohnungen über die die Rauchfahne hinwegzog – insgesamt sind laut Polizeiinformationen mehrere hundert Menschen betroffen. 250 Feuerwehrleute vor Ort konnten verhindern, daß die Lackiererei und die Produktionsanlagen völlig zerstört wurden. Die Lagerhalle und damit die zehn Tonnen PVC samt einer ähnlichen Menge Aluminium gehen jedoch in Rauch und Flammen auf. Auch 3.000 Liter Lack samt dem Lösungsmittel Perchloräthylen verbrennen.

Die Auswirkungen für die Umwelt sind noch nicht genau abzuschätzen. Die chlorhaltigen Dioxine setzten sich vor allem im Ruß ab, und der wird durch einen solchen Großbrand oft weit verteilt. Selbst wenn in den nächsten Wochen die Dioxinkonzentration in der Gegend gemessen würde, lägen die Ergebnisse auf Grund des schwierigen Analyseverfahrens erst in einigen Tagen vor.

PVC-Kunststoffe werden von Umweltschützern schon lange kritisiert. Für praktisch alle Anwendungen liegen auch schon Alternativen vor. Sie sind jedoch häufig teurer in der Produktion. PVC wird nämlich rationell in großen Mengen hergestellt. Abnehmer sind zum Beispiel Kabel- und Fensterproduzenten. Die energieaufwendige Gewinnung des Grundstoffs Chlor bei der Chlor-Alkali- Elektrolyse wird zusätzlich verbilligt durch besonders niedrige Strompreise der Energieversorger für solche Großabnehmer.

Die Gesamtbilanz des PVC rutscht jedoch auch auf der wirtschaftlichen Seite sofort ins Negative, wenn das Zeug verbrennt: die Sanierungskosten von Gebäuden steigen durch in Schächten haftende Chlorverbindungen stark. Beispiele sind das Klinikum in Aachen oder jüngst der Katastrophenbrand auf dem Flughafen in Düsseldorf.