Hogefeld-Anwälte: Neue Beweisaufnahme

■ Berichte zum Fall Seidler könnten heutiges Hogefeld-Urteil verzögern

Berlin (taz) – Die freiwillige Rückkehr des als RAF-Mitglied gesuchten Christoph Seidler verzögert möglicherweise die für heute anberaumte Urteilsverkündung im Prozeß gegen die frühere RAF-Aktivistin Birgit Hogefeld. Hogefelds Verteidiger Ursula Seifert und Berthold Fresenius erklärten gestern auf Nachfrage, die am Montag in taz und Spiegel veröffentlichten neuen Erkenntnisse über die Zusammensetzung der RAF Mitte der 80er Jahre machten den Wiedereintritt in die Beweisaufnahme unumgänglich. Der 5. Strafsenat des Oberlandesgerichts in Frankfurt am Main unter seinem Vorsitzenden Richter Erich Schieferstein muß nun zunächst über zwei Beweisanträge der Hogefeld- Verteidigung entscheiden.

Im Kern geht es dabei darum, daß nach den Aussagen Seidlers und einer richterlichen Vernehmung der RAF-Gefangenen Eva Haule die Zusammensetzung der RAF zum fraglichen Zeitpunkt immer mehr verschwimmt. Seidler war danach ebensowenig Mitglied der RAF wie Andrea Klump. Außerdem seien, so Haule, weitere in jener Zeit untergetauchte Personen nie zur RAF gestoßen.

Im Prozeß gegen Birgit Hogefeld waren jedoch Unterschriften unter Auto- und Wohnungsmietverträgen der Angeklagten zugeordnet worden, obwohl entsprechende Schriftgutachten nur unsichere Ergebnisse erbracht hatten. Die Ankläger waren sich dennoch sicher, weil die Urheberschaft der anderen – angeblich sämtlich bekannten – weiblichen RAF-Mitglieder durch Schriftvergleich ausgeschlossen werden könne. Die Hogefeld-Verteidigung will deshalb Eva Haule und den Verfassungsschutzbeamten mit dem Aliasnamen „Hans Benz“ als Zeugen hören. Beide sollen bekunden, daß eine Reihe der von der Bundesanwaltschaft der RAF zugerechneten Personen nie der RAF angehört haben und daß es offenbar andere unbekannte Personen gibt, die Mitglieder der RAF waren oder sind. Damit könnten die Unterschriften, sämtlich wichtige Beweismittel im Indizienprozeß gegen Hogefeld, der Angeklagten nicht mehr per „Ausschlußverfahren“ zugeschrieben werden.

Rechtsanwältin Seifert warf den Karlsruher Anklägern gestern vor, sie hätten noch in ihrem Plädoyer den Automatismus „Abtauchen gleich RAF-Mitgliedschaft“ hochgehalten, obwohl ihnen der Fall Seidler und die Haule-Aussagen schon bekannt gewesen seien. Damit habe die Bundesanwaltschaft das Gericht „bewußt“ getäuscht und Erkenntnisse zurückgehalten, die die Angeklagte entlasten könnten.

Der 1984 in die Illegalität abgetauchte Christoph Seidler hatte gegenüber dem Spiegel versichert, er sei nie Mitglied der RAF gewesen und habe dies inzwischen gegenüber den Behörden mit Hilfe zahlreicher Zeugen nachgewiesen. Seidler hat die Aufhebung seines Haftbefehls beantragt und will sich stellen, sobald der Ermittlungsrichter einen Haftprüfungstermin aberaumt. Im Prozeß gegen die 1993 in Bad Kleinen festgenommene Birgit Hogefeld fordert die Bundesanwaltschaft eine lebenslange Freiheitsstrafe wegen vierfachen Mordes und zehnfachen Mordversuchs. Die Verteidigung hält die ihrer Mandantin vorgeworfenen Verbrechen für nicht erwiesen, die von ihr nicht bestrittene zeitweise Mitgliedschaft in der RAF sei mit der über dreijährigen Untersuchungshaft verbüßt. Gerd Rosenkranz