Kaum noch Hoffnung auf einen Ausweg aus dem politischen Chaos

■ Die wenigsten Bulgaren glauben ernsthaft, daß der neue Staatspräsident Petar Stojanov die Krise meistern kann

Noch vor einigen Jahren sah es so aus, als ob Bulgarien die Wirtschaftskrise, die die kommunistische Diktatur hinterlassen hatte, relativ schnell würde überwinden können. Bulgarien war seinem Nachbarland Rumänien in vielem voraus – angefangen von der Sauberkeit in den Städten über die Lebensmittelversorgung und Infrastruktur wie gute Straßen und ein funktionierendes Telefonnetz bis hin zu Wirtschaftsreformen. Mittlerweile hat Rumänien mehr Aussichten als Bulgarien, aus der Krise herauszufinden – und das obwohl Rumänien nach Albanien als ärmstes und unterentwickeltstes Land Europas gilt.

Seit „Die Bulgarische Sozialistische Partei“ vor zwei Jahren die Wahlen mit absoluter Mehrheit gewann, häuften sich die schlechten Nachrichten. Dieses Jahr zählt zu den katastrophalsten der Nachkriegsgeschichte: Im Frühjahr brach die bulgarische Währung zusammen. Die Lebenshaltungskosten haben sich in diesem Jahr verdreifacht, die Inflation wird mindestens bei 100 Prozent liegen. Eine seit langem anhaltende Brotkrise droht in den folgenden Monaten zu einem „Hungerwinter“ zu werden, wie bulgarische Zeitungen immer wieder schreiben.

Unterdessen breitet sich das organisierte Verbrechen unkontrollierbar aus; illegale Privatisierungsgeschäfte sind ebenso an der Tagesordnung wie Mafiamorde. Anfang Oktober fiel der ehemalige sozialistische Ministerpräsident Andrei Lukanov einem Mordanschlag zum Opfer, der vermutlich mit dessen Wirtschaftsaktivitäten zusammenhängt. Ende Oktober überlebte ein Mitglied der zentralen Wahlkommission einen Bombenanschlag – zwischen den beiden Wahlgängen für das Amt des Staatspräsidenten. Die Motive blieben ebenfalls im dunkeln.

Es ist nicht nur die Schuld der Sozialisten, daß Bulgarien mittlerweile die „Schande Osteuropas“ ist, wie die Wirtschaftszeitung Kapital kürzlich schrieb. Vor dem Wahlsieg der Sozialisten im Dezember 1994 hatte Bulgarien eine lange Periode politischer Instabilität durchgemacht, weil im Parlament keine Fraktion eine stabile Regierung bilden konnte.

Die Privatisierung wurde zeitweise ganz gestoppt

Die Sozialisten wurden mit der Hoffnung gewählt, daß sie einen Ausweg aus der Wirtschaftskrise und dem politischen Chaos finden würden – eine Hoffnung, die mittlerweile völliger Desillusionierung gewichen ist. Die Regierung unter Ministerpräsident Shan Videnov hob als einzige Reformmaßnahme periodisch die Preise an, ohne jedoch bankrotte Staatsunternehmen und die maroden Staatsbanken zu privatisieren oder zu schließen. Die Privatisierung wurde zeitweise ganz gestoppt, und die Regierung bemühte sich um eine Rekollektivierung des nach 1989 privatisierten Bodens.

Den Kampf gegen das organisierte Verbrechen bekam die Regierung bis heute nicht in den Griff, obwohl die Sozialisten 1994 nicht zuletzt mit diesem Versprechen einen Teil der Wählerstimmen gewannen. Bulgariens Mafia verfügt offenbar über zu gute Beziehungen zu exkommunistischen Funktionären im Umkreis oder in der Sozialistischen Partei selbst. Als Ausweichmanöver beschuldigte die Regierung die Medien, daß sie unkonstruktiv und beleidigend über die Arbeit der Regierung und des Parlaments berichteten. Die Regierung setzte Journalisten von ihren Posten ab und entwarf ein Mediengesetz, das die Staatskontrolle über die vierte Gewalt ausweitet.

Daß der neu gewählte Staatspräsident Petar Stojanov etwas an der politischen und wirtschaftlichen Krise ändern kann, glauben die meisten Bulgaren nicht. Auch die Wahlbeteiligung zeigt die Desillusionierung: An der Stichwahl zwischen Stojanov und seinem Gegenkandidaten von den Sozialisten beteiligten sich nur wenig über 50 Prozent der Wahlberechtigten.