Demokratie mit Krücken

■ Das US-Volk hat wenig Lust, wählen zu gehen

Die spannende Frage am heutigen Wahltag in den USA lautet: Schaffen die amerikanischen Wähler die 50-Prozent-Hürde? Wenn ja, dann nur äußerst knapp, prognostizieren die demoskopischen Institute. Soll heißen: Rund die Hälfte aller wahlberechtigten US-amerikanischen Bürger werden heute aller Voraussicht nach ihre Stimme nicht abgeben. Der Rest schaut zu – oder angewidert weg.

Selbst wenn Bill Clinton im Gegensatz zu 1992 einen „Erdrutschsieg“ davontragen sollte, kann er sich bestenfalls auf die Unterstützung von einem knappen Drittel der Wahlberechtigten berufen. Das sind keine rosigen Aussichten für sein derzeitiges Lieblingsprojekt, mit allen Landsleuten „eine Brücke ins 21. Jahrhundert zu bauen“. Vor allem aber ist es ein Armutszeugnis für die amerikanische Demokratie im ausgehenden 20. Jahrhundert.

Dabei – so möchte man meinen – hätte der Trend eigentlich entgegengesetzt verlaufen müssen. Das Wahlrecht wurde in diesem Jahrhundert immer weiter ausgedehnt und die Registrierung erleichtert. Die Massenmedien informieren immer ausführlicher über Kandidaten und Themen, und für Kampagnen wird immer mehr Geld ausgegeben. Bloß die Wahlbeteiligung geht immer weiter zurück. Ein paar Gründe für das diesjährige Desinteresse liegen auf der Hand: Bill Clintons Vorsprung gegenüber Bob Dole wurde von den Medien schon vor Wochen für uneinholbar erklärt. Ein zentrales Thema, wie die Folgen der letzten Rezession, die 1992 die Gemüter bewegte, gibt es nicht. Und Ross Perots Reputation als kleiner Schrecken des Zwei- Parteien-Monopols hat sich inzwischen abgenutzt.

Das grundsätzliche Problem hingegen ist der Wahlkampf selbst. Es ist schon seit längerem das erklärte Ziel der Wahlkampfstrategen, Wechselwähler oder Unentschlossene vom Gang in die Stimmkabine abzuhalten, indem man Dauerbombardements von Fernsehspots mit persönlichen oder politischen Attacken gegen den Opponenten losläßt. Das kostet Geld. Sehr viel Geld. Die Wahlkampagnen in diesem Jahr waren so teuer wie noch nie zuvor in der US-Geschichte. Was die Abschreckung der Wählerschaft angeht, so hat sich die Investition gelohnt. Andrea Böhm

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