„Von Separatismus kann gar keine Rede sein“

■ Ingeborg Baldauf über die Herrschaft des Usbeken General Dostam in Nordafghanistan

General Abdurraschid Dostam hat im Norden Afghanistans ein eigenes Reich aufgemacht. Hier gelten nicht die strengen Regeln der Taliban. Ingeborg Baldauf (40), Professorin für Sprachen und Kulturen Mittelasiens und Leiterin des Seminars für Mittelasienwissenschaft an der Berliner Humboldt- Universität, hat die Region besucht.

taz: Will Dostam seine Herrschaft als Gegenentwurf zum „reinen islamischen Staat“ der Taliban profilieren?

Ingeborg Baldauf: Explizit habe ich das nicht gehört. Allerdings sprechen die Tatsachen dafür. Das äußert sich durchgehend im alltäglichen Leben. Zwar funktioniert eine islamische Gesellschaft, aber sie folgt tatsächlichen islamischen Prinzipien wesentlich dichter als bei den Taliban. Das strenge Ausschließen von Frauen aus dem öffentlichen Bereich wird unter Dostam auch nicht praktiziert. Es ist die gesamte Bandbreite dessen zu finden, was der Islam noch erlaubt – von sehr religiös, symbolisiert durch das Tragen der Vollverschleierung bei Frauen, bis hin zu einer gemäßigten Form.

Welche Rolle spielen dort Frauen im öffentlichen Leben?

Nennen wir es die frauenspezifischen Bereiche: Im Erziehungswesen sind zur Zeit Frauen wahrscheinlich fast die einzigen, die aktiv sind. Gerade aus der jüngeren Generation fehlen ja viele Männer durch den Krieg. Wenn man Frauen jetzt aus dem Erziehungs- und Bildungswesen ausschließen würde, wie die Taliban es fordern, dann würde das nicht nur bedeuten, daß Frauen und Mädchen ohne Bildung bleiben, sondern letzten Endes auch die meisten Jungen. In der Administration kann man einzelne Frauen bis in die höchsten Ränge finden.

Es soll spezielle Alphabetisierungskurse für Frauen geben ...

Das wird in konzertierten Aktionen von internationalen Organisationen finanziert. So hat es sich mittlerweile zu einer Bewegung in einer gewissen Breite entwickelt, gerade in den Randzonen der großen Städte, wo keine Bildungsinfrastruktur der modernen Art existiert hat. Frauen werden dort in einer sehr emanzipatorischen Weise erzogen. Es wird ihnen nicht nur Lesen und Schreiben beigebracht, sondern auch, wozu sie das eigentlich brauchen – um sich in der Stadt ohne Hilfe von Männern orientieren und bewegen, um eine selbständige Berufstätigkeit aufnehmen zu können.

Ist der Afghanistan-Konflikt ethnischer Natur?

In der Nationalen-islamischen Bewegung von General Dostam sind alle Nationalitäten vertreten. Die Hauptmasse mögen tatsächlich Angehörige der usbekischen und turkmenischen Völkerschaften sein. Es haben aber auch die Persischsprecher, die Paschtunen und die Hazara ihren Anteil. Das unterscheidet dieses Regime von vielen davor: Es gibt nicht so ein eindeutiges Dominieren einer einzelnen Gruppe.

Ist die administrative Trennung Nordafghanistans eine Gefahr für die Einheit des Landes?

Die Einheit Afghanistans als Wunschvorstellung ist bei fast allen Bürgern präsent. In den Nordprovinzen leben ganz viele Zuzügler aus den restlichen Provinzen. Die Vorstellung, daß einmal eine Staatsgrenze zwischen jetzigem Lebensgebiet und der angestammten Heimat liegen könnte, wäre für sehr viele Menschen schwer zu ertragen. Daher: Das Ideal eines einigen Afghanistan wird hochgehalten.

Auch von General Dostam?

Das müßten Sie ihn fragen. Er ist ein Politiker mit vielen Facetten des Handelns und des sich Äußerns. Aber das Gebiet, über das er herrscht, wird weiterhin als die „Nordprovinzen von Afghanistan“ bezeichnet. Von Separatismus kann also gar keine Rede sein.

Häufig wird berichtet, hohe Kader des ehemaligen prosowjetischen Regimes spielten in Dostams Gebiet eine wichtige Rolle.

Nicht, daß jemand sich selbst so bezeichnet hätte. Leute verschweigen sogar, wenn sie in der Sowjetunion ausgebildet worden waren oder etwaige Russischkenntnisse. Es sind aber nach wie vor Personen aus diesem politischen Umfeld in hohen und höchsten Funktionen.

Was sagen Sie zur Enthaltsamkeit deutscher Entwicklungspolitik in Afghanistan?

Es ist bedauerlich, daß bei uns Afghanistan immer mit Krieg und Zerstörung verbunden wird. Die friedlichen Entwicklungen, die es wenigstens in der Nordregion seit Jahren gibt, werden kaum zur Kenntnis genommen.

Argumentiert wird, daß es keine Zentralregierung und damit keinen Verhandlungspartner gebe.

Es ist bedauerlich, daß man eine funktionierende Administration wie die der Nordprovinzen nicht als Ansprechpartner zur Kenntnis nimmt. Zumindest auf der Ebene von NGOs sollte das möglich sein. Ich will nicht hoffen, daß dahinter die Befürchtung steht, das Regime könnte spätkommunistischer Art sein. Befürchtungen, man würde mit General Dostam einen „Kommunisten“ fördern, sind wahrscheinlich unberechtigt. Interview: Thomas Ruttig