Hogefeld behielt am Ende recht

Die frühere RAF-Aktivistin Birgit Hogefeld hatte das Strafmaß in ihrem Schlußwort vorausgesagt. Entsprechend gelassen und ruhig nahm die 40jährige gestern das lebenslängliche Urteil auf  ■ Aus Frankfurt/Main Heide Platen

Überrascht war sie nicht, sie hatte damit gerechnet. Birgit Hogefeld nahm gestern nachmittag ihre Verurteilung wegen dreifachen Mordes, mehrerer Mordversuche und eines Sprengstoffanschlags zu lebenslänglicher Haftstrafe ruhig, äußerlich fast gleichgültig, zur Kenntnis. Von der 5. Strafkammer des Staatsschutzsenates am Frankfurter Oberlandesgericht, so hatte sie schon vergangene Woche in ihrem Schlußwort erklärt, erwarte sie auch nichts anderes.

Vorsitzender Richter Erich Schieferstein begründetet die Entscheidung mit leicht holperndem Vortrag, das Manuskript dicht vor den Augen, detailliert und akribisch. Gleich zu Anfang hatte die Kammer trotz des vorhersehbaren Urteils für eine unerwartete Überraschung gesorgt. Sie folgte einem wesentlichen Teil der Anklage der Bundesanwaltschaft nicht. Daß Hogefeld bei ihrer Festnahme im Juni 1993 auf dem Bahnhof von Bad Kleinen mitschuldig an der Erschießung des Polizisten Newrzella sei, hielt sie für eher unwahrscheinlich. Sie sei bereits arretiert gewesen, als die Schüsse fielen, habe also keine „Tatherrschaft“ gehabt, und das wohl auch wegen der Ausweglosigkeit ihrer Situation gar nicht gebilligt oder gewollt. Den gleichzeitigen Tod ihres Lebensgefährten Wolfgang Grams hielt der 5. Strafsenat für geklärt. Grams habe sich selbst erschossen, nachdem er Newrzella tötete. Querschläger aus Polizeiwaffen seien auszuschließen. Die Eltern von Grams saßen bei der Urteilsverkündung – ebenso wie die Mutter von Birgit Hogefeld – im Zuschauerraum.

Das Gericht legte Hogefeld zur Last, im August 1985 den US-Soldaten Edward Pimental aus einer Wiesbadener Bar in den Wald gelockt und an seiner Erschießung beteiligt gewesen zu sein. Mit seiner ID-Card hatte sich die RAF am nächsten Morgen Zugang zur US-Airbase am Frankfurter Flughafen verschafft. Dort stellte sie einen weißen VW-Passat ab, der, beladen mit über 200 Kilo Sprengstoff, detonierte, zur besseren Wirkung angereichert mit 25 Kilo Schraubenmuttern. Ein Mann wurde regelrecht zerfetzt, eine Frau starb durch einen Metallsplitter, der ihren Schädel durchschlagen hatte. Zwei Menschen wurden schwer verletzt. Hogefeld hatte ihre Beteiligung an beiden Taten bestritten. Den Mord an Pimental hatte sie schon zu Beginn des Prozesses als Fehler der RAF verurteilt. Das Gericht ging dennoch davon aus, daß Hogefeld Mitglied des RAF-Kommandos „George Jackson“ gewesen sei, das sich zu der Tat bekannt hatte. Sie sei deshalb über alles informiert und an allem beteiligt gewesen. Sie habe nicht nur Pimental in den Tod gelockt, sondern auch mehrere Autos gekauft. Die Kammer stützte sich dabei sowohl auf Zeugenaussagen wie auf Schriftgutachten des Bundeskriminalamtes. Auch an der Ermordung des Staatssekretärs im Finanzministerium, Hans Tietmeyer, 1988, und dem Sprengstoffanschlag auf den Gefängnisneubau in Weiterstadt sei sie beteiligt gewesen.

Zu Beginn des Verhandlungstages hatte die Verteidigung von Hogefeld noch einmal in neuen Beweisanträgen darauf hingewiesen, daß die Unterschriften auf den Kaufverträgen der Autos Hogefeld von den Schriftgutachtern nur „im unteren Drittel der Wahrscheinlichkeit“ zugerechnet worden waren. Die Ermittler hätten sich deshalb des Ausschlußverfahrens bedient. Vier andere, der RAF zugerechnete Frauen seien als noch unwahrscheinlicher ausgeschlossen worden. Die Rechtsanwälte Ursula Seifert und Berthold Fresenius beantragten außerdem, den Zeugen Christoph Seidler zu hören, der lange Zeit fälschlicherweise der RAF zugerechnet worden war und sich demnächst der Bundesanwaltschaft stellen will, um das Gegenteil zu beweisen. Außerdem solle der Seidler betreuende Verfassungsschützer mit den Aliasnamen „Benz“ gehört werden, der Seidler im sogenannten Aussteiger-Programm betreut.

Auch die RAF-Gefangene Eva Haule könne bezeugen, daß Hogefeld zum Zeitpunkt des Airbase- Attentats noch gar nicht der RAF angehörte, sondern nur untergetaucht war. Seifert: „Untergetaucht ist nicht gleich RAF.“ Und: „Sie wissen doch gar nicht, wer in der RAF war.“

Dem hielt Bundesanwalt Hemberger sein eigenes Rechenexempel entgegen: „Je weniger der weiblichen RAF-Mitglieder bekannt sind, um so mehr steigt die Wahrscheinlichkeit, daß Hogefeld dabeiwar.“ Das Gericht hatte die Anträge nach der Mittagspause abgelehnt.