Und der Chef hat doch das Sagen

■ Katja war ihren Boß leid und hat ihre Stelle aufgegeben – jetzt arbeitet sie als selbständige Verlagskauffrau wieder nur für ihn

Den großen Plan von der Selbständigkeit hat Katja nie gehabt. Eher zufällig ist die 30jährige Münchnerin dazu gekommen – als der Ärger mit dem Chef zuviel wurde. Wer eine Stunde zu spät zur Arbeit kam, mußte sich einen halben Tag Urlaub anrechnen lassen, forderte der Inhaber eines Münchner Verlags. „Statt neue Computerprogramme zu kaufen, mußte immer ein Strauß Blumen für 120 Mark auf dem Empfangstresen stehen.“ Katja war es leid.

Der Chef machte ein mündliches Angebot: Zwanzig Stunden in der Woche sollte sie bei ihm arbeiten und dafür ihr altes Bruttogehalt von 4.800 Mark als Honorar bekommen. Ihren Schreibtisch konnte sie behalten, ihr Name blieb im Telefonregister der Firma stehen. Offiziell wurde ihr gekündigt, was ihr monatlich zusätzlich ein Arbeitslosengeld von 2.400 Mark im Monat einbrachte. „Eine tolle Zeit war das 1994. Wenig Arbeit, viele Reisen und dazu übers Arbeitsamt sozialversichert.“

Nach einem halben Jahr regte sich Katjas schlechtes Gewissen; sie meldete sich als Unternehmerin beim Finanzamt an. Seit 1995 arbeitet sie zu den mündlich ausgehandelten Bedingungen bei ihrem alten Chef, der ihr nach wie vor sagt, was sie zu erledigen hat. Sie zahlt 350 Mark im Monat für eine private Krankenversicherung, und 250 Mark legt sie in eine Lebensversicherung an. „Damit ist das Thema Vorsorge für mich abgehandelt.“

Aus dem vielgerühmten Generationenvertrag ist Katja ausgestiegen. „Ich sehe, daß meine Mutter 1.600 Mark Rente für 45 Versicherungsjahre bekommt, und wenn mein Vater nicht nebenher noch schwarz arbeiten würde, kämen sie nicht über die Runden.“ Ein Gesetz, das jeden Selbständigen verpflichten würde, in die Sozialkassen einzuzahlen, ist für sie der „reinste Horror“. Und wer soll für sie aufkommen, wenn sie mit 70 ein Pflegefall wird? „Das weiß ich nicht, aber wer sagt denn, daß ich auf das jetzige System noch in 30 Jahren vertrauen kann?“

Durch die Sozialkürzungen fühlt sich Katja in ihrer abwehrenden Haltung bestätigt. Wer heute die Lohnfortzahlung anrühre, dessen soziales System sei ohnehin bankrott. Überhaupt, wer von den Unternehmern fühle sich denn verantwortlich? Ihr Chef nutze doch sämtliche Schlupflöcher, beschäftige acht Leute fest und 32 als ständige Honorarkräfte. „Geld verdient er wie Heu dabei. Da sehe ich nicht ein, warum ausgerechnet ich mich für irgend etwas verantwortlich fühlen soll.“

Katja wählt von Herzen die Grünen und hofft, daß sie nach dem Prinzip „der Stärkere gewinnt“ durchkommt im Berufsleben. Um langsam der Abhängigkeit zum alten Chef zu entkommen, hat sie in ihrer Wohnung ein Zimmer ausgeräumt. Sie richtet sich ein Home Office ein.

Erst einmal klein anfangen, später vielleicht eine Bürogemeinschaft aufziehen, in der jeder auf eigene Rechnung arbeitet. Nur eins bitte nicht: Irgendwann in die Verlegenheit kommen zu müssen, Chefin zu werden. „Erst hast du eine Sekretärin, dann stellst du noch jemanden ein, und dann dauert es nicht lange und du führst dich auf wie der letzte Arsch, weil man als erfolgreicher Unternehmer einfach gierig wird.“ Und so möchte sie sich lieber nicht erleben. Annette Rogalla