Bum, bum, Boris: Herz im Takt

■ Der russische Präsident Boris Jelzin ist gestern erfolgreich operiert worden – die Aktien steigen

Berlin (taz) – Jelzin lebt, und in Zeiten der wirtschaftlichen Globalisierung hat das ungeahnte Folgen: Der Frankfurter Aktienmarkt hat auf die geglückte Herzoperation des russischen Präsidenten mit einem Kurssprung reagiert. Der Deutsche Aktienindex beendete am Dienstag den Parketthandel auf seinem Tageshoch von 2.691,29 (Vortag: 2.671,86) Punkten. Im Nachmittagshandel schraubte sich der Dax bis 14.30 Uhr auf 2.701,13 Zähler hoch. Der M-Dax hinkte mit 2.902,53 Punkten hinterher. Wer hätte das gedacht.

Soweit zum Eigentlichen. Jetzt noch ein paar Details. Die Nachrichtenagentur AP hat uns gestern mittag aus dem Herzen (sic!) gesprochen: Boris Jelzin habe „seine weltweit mit Sorge verfolgte Herzoperation erfolgreich überstanden“, hieß es. Der Segen des Patriarchen der russisch-orthodoxen Kirche, Alexej II., war also doch nicht in den russischen Wind gesprochen. Am Dienstag hatte Alexej in der Kasaner Kathedrale am Moskauer Kreml für den russischen Präsidenten gebetet: „Heile Krankheiten und Leiden der Seele und des Körpers des Präsidenten, vergib ihm all seine Sünden, die vorsätzlichen und die unbeabsichtigten.“

Nach Angaben des Chefarztes Renat Aktschurin, unter dessen Leitung der Eingriff stattfand, gab es bei der Operation keine Komplikationen. Dem 65jährigen waren mehrere Bypässe gelegt worden. Nach Angaben der Kreml-Pressestelle wurde der Eingriff am offenen Herzen um 12Uhr (MEZ) beendet. Anschließend wurde Jelzin auf die Intensivstation des Tschasow-Herzzentrums verlegt. Er stand am Nachmittag noch unter Narkose. Doch jeder weiß, daß der Präsident selbst in diesem Zustand alles im Griff hat.

Das Ärzteteam unter der Leitung Aktschurins hatte um 5 Uhr (MEZ) mit dem Eingriff begonnen. Der US-Herzspezialist Michael DeBakey und die beiden deutschen Kardiologen Axel Haderich und Thorsten Wahlers verfolgten die Operation in einem benachbarten Raum am Bildschirm, wie ein Arzt vor Ort mitteilte. Die deutschen Zuschauer konnten das Geschehen eine Stunde zeitversetzt im Fernsehen verfolgen – präsentiert von Krombacher und Sat.1. Die Operation sei in einer freundschaftlichen und herzlichen Atmosphäre verlaufen, hieß es aus diplomatischen Kreisen. Das Ärzteteam habe mehrmals beiderseits interessierende Fragen erörtert. Nach Angaben des Radiosenders Moskauer Echo befand sich auch die Familie des Präsidenten während der Operation im Herzzentrum. Nach der Operation übermittelten zahlreiche Staats- und Regierungschefs ihre Genesungswünsche. Kohl telefonierte sofort mit dem benommenen Präsidenten.

Aktschurin sagte, alles weise darauf hin, daß der Herzmuskel Jelzins wieder normal funktioniere. Seinen Angaben zufolge wurde das Herz eine Stunde und acht Minuten angehalten. Der Präsident werde noch voraussichtlich bis Mittwoch künstlich beatmet. Dann wartete Aktschurin mit der eigentlichen Überraschung des gestrigen Tages auf: „Ich habe versucht, zu vergessen, daß ich den Präsident operiere.“ Ob das bleibende Schäden beim Präsidenten hervorrufen könnte, dazu machte der Arzt keine Angaben.

Spätestens heute vormittag rechnen die Ärzte mit Jelzins Erwachen. Gewiß könne er auch bald seine Pflichten als Staatschef wieder erfüllen. Vor der Operation hatte der Präsident ein Dekret unterzeichnet, in dem Ministerpräsident Tschernomyrdin die Amtsgeschäfte übertragen wurden. Es wird damit gerechnet, daß Jelzin bald nach seinem Erwachen mit einem neuen Dekret seine Machtbefugnisse wieder übernimmt. In einer Erklärung an das Volk, die Jelzin wie immer unter Narkose abgab, betonte er, daß er nicht die Absicht habe, lange im Krankenhaus zu bleiben.

Jens König Bericht Seite 9