Schirm & Chiffre
: Totenkopf, schwarzweiß

■ Die Zeitschrift „Kaleidoskop“ verbessert das Lebensgefühl

Manchmal liegen Zeitschriften ziemlich lange halb gelesen herum. Die will man nicht zu Ende lesen, weil der Titel (Kaleidoskop) blöde klingt, weil einen das Cover nicht so recht anspricht (eine Totenkopfmaske in Schwarzweiß, aus deren Augen- und Nasenhöhlen modebewußt Schläuche kommen) oder weil man grad keine Lust hat. Wobei die Unlust sich bekanntlich ja eher verstärkt, wenn man ihr einmal nachgegangen ist. Am Ende guckt das Heft vorwurfsvoll, weil man es ignoriert, und dann liest man es erst recht nicht. Obgleich oder gerade weil man weiß, daß dies und das doch interessanter sein könnte als in anderen Zeitschriften.

Worum es geht, welche Absichten die Macher mit ihrem Heft verbinden und ob ihnen nichts Besseres hätte einfallen können, als ein Heft Kaleidoskop zu nennen, erfährt man auch später nicht so richtig. Im Impressum steht, daß von Kaleidoskop Nr.2 noch 27 Exemplare vorrätig sind, daß Nr.3 mit einer Single von Arne Zank erschienen ist.

Im Editorial schreibt also Harald „Sack“ Ziegler, der übrigens auf der angenehmen „Iaora Tahiti“-CD von Mouse on Mars einen sehr seltsamen Text über die „Innere Orange“ liest, die in jedem sei, das Endprodukt habe mit der Anfangsidee nur noch wenig zu tun, „aber gerade diese Ungewißheit treibt mich wohl dazu, weiterzumachen“. Von der „Ästhetik des Scheiterns“ ist noch die Rede, von „Depressionen, die mich regelmäßig nach Fertigstellung einer Ausgabe befallen“.

Wenn man Lust auf Kategorien hat, kann man Kaleidoskop dem zuordnen, was seit ein paar Jahren als social beat durch die Gegend tourt; junge Leute, die in Erinnerung an die Beat generation in Kneipen Massenlesungen abhalten, gern trinken oder kiffen oder Musik hören; die überall kleine Zeitschriften und Fanzines (wie eben Kaleidoskop) herausgeben, durch ihren Enthusiasmus imponieren und Romane und Geschichten schreiben, die nicht unbedingt den Anspruch erheben, die Zeit zu überdauern. Es geht also um Autoren, die sich nicht scheuen, auch mal peinlich privat zu sein, und die durch die Schnelligkeit des Geschriebenen zuweilen an einer Mentalitäts- und Alltagsgeschichte mitschreiben, die oft genauer ist als die der im Sinne der Literatur besseren Schriftsteller.

Wobei in Kaleidoskop auch die traditionelle Schreibweise vertreten ist. Als Beziehungsgeschichte zwischen „Alida und Arthur“ oder als trashige Satire auf einen Literaturbetrieb, der wahrscheinlich auch denen unangenehm ist, die selbst drin sind. In Frank Schneithers Geschichte „Die Tessiner Beendigung“ fährt ein fideles Kamerateam in die Schweiz, um ein Kurzporträt einer drittklassig-eitlen Bachmannpreisleserin zu filmen. Nicht unbedingt originell, aber doch virtuos, komisch und variantenreich geschrieben: „Klumpen jener orientalischen Spezerei, die bei Hitzeeinwirkung porösem Aggregatzustand anheimfällt“, werden da gereicht und „in kleinen Flocken auf einer geschlachteten Zigarette Innerei“ gebröckelt. „Wir machten uns daran, die Schweiz zu rauchen.“

Ansonsten: viel Grafik, ein paar Gedichte, ein Auszug aus dem autobiographischen Entwicklungsroman „Hure Liebe – Eine Domestizierung“ von Marc Degens, der früher mal bei „Sex& Kotze“ mitgemacht hatte, und sehr lohnende Versuche von Linus Volkmann, die Geschichte unvergessener Comic-Helden als Trivialtrash fortzuschreiben: „falsches spiel mit super-lupo“ und „super-lupo rettet die welt“. Diffus mißtraut man dem ehemaligen Leitmedium Sprache – wenn man's angeberisch formulieren will – und schreibt lustige Sätze über „topprogramme, von denen man sonst nur die weißen, reichen kids auf dem campus reden hört“ und über Lupo, der sich einen Festtag machen will: „das hatte sich super-lupo mal wieder fein ausgedacht. er wollte den ganzen tag bier trinken. heißa, das wird ein spaß, dachte sich lupo.“ Detlef Kuhlbrodt

„Kaleidoskop“ gibt es manchmal, und das für 5,50 DM (plus 1,50 DM Porto) bei: Jörn Morisse, Postfach 540151, 10042 Berlin