Die Rückkehr des reifen Regisseurs

■ Peter Stein hält öffentliche Vorlesungen an der Hochschule der Künste in Berlin

Das „interessierte Berliner Publikum“ war ausdrücklich eingeladen. Das liegt bei einer Hochschul- Vorlesungsreihe zur griechischen Tragödie nicht unbedingt nahe, hat hier aber durchaus Methode. Denn die Rückkehr des Peter Stein nach Berlin soll schließlich nicht unbemerkt vonstatten gehen. Und eine demonstrative Rückkehr ist es, auch wenn sein Vertrag als Schauspielchef der Salzburger Festspiele erst 1997 endet. Er muß in Berlin präsent sein, wenn aus dem 100-Millionen-Loch des hauptstädtischen Kulturetats die Mittel erwachsen sollen, um sein „Faust“-Großprojekt doch noch zu realisieren. Also hat er zunächst einen Lehrauftrag an der Hochschule der Künste angenommen – als Nachfolger von Ivan Nagel, der wiederum als Nachfolger von Stein in Salzburg im Gespräch ist.

Peter Stein, der die West-Berliner Schaubühne einst als Kollektiv organisierte, der vom Agitprop auf psychologischen Realismus umschwenkte und zu Weltruhm gelangte, Peter Stein, der Berlin vor vier Jahren brüsk verlassen hatte, weil sich der „Faust“ hier nicht machen ließ, Peter Stein also, 59 Jahre alt und eine Legende, Peter Stein stand bei der ersten Vorlesung am Dienstag ganz in Schwarz gekleidet vor einer Schultafel, strahlte Sympathie aus und tat sich anfangs etwas schwer mit dem Duzen.

Nicht als Wissenschaftler, sondern als Theatermann wolle er reden, und zwar über die griechische Tragödie, mit der er sich seit über 40 Jahren beschäftige. Und das tat er dann auch. Um Kairos ging es, den Moment des Zusammenfalls etlicher glücklicher Umstände, um die Geburt des Theaters aus der mimetischen Tradition, um Vasenbilder und um Rituale. Mal knarzte er die Sätze, dann sprach er ganz voll, mal klang es wie gedruckt, dann wieder hemdsärmelig jovial.

Ein wirkungsbewußt kurzweiliger Vortrag, bei dem das antike Theater auch als Fluchtpunkt für Steins eigene Positionen fungierte. Er gab sich als Eurozentrist zu erkennen, als Verfechter des literarisch geprägten Theaters und der Kunst als Ausdruck von Differenz („Die Vorstellung einer Weltkultur ist grauenhaft“). Gleichzeitig irrlichterte eine merkwürdige Mischung aus Misanthropie und Ursprungsmystik durch seine Rede, angesichts derer auch die Gestaltung der griechischen Tragödie als kultureller Sündenfall erscheinen muß. „Es gibt nichts Natürliches, in das wir nicht mit unseren schmutzigen Fingern hineinmengen wollen“, schimpfte er und sprach von der „ekelhaften Rasse“ Mensch.

Nach solchen Exkursen fiel es natürlich nicht leicht, noch Fragen zum Thema zu haben. Als eine Studentin zögernd wissen wollte, wie das mit Ritualen denn heutzutage so sei, pries Stein nur sein Alter, das ihn davor verschont habe, zu jenen zu gehören, die „mit zehn schon alles kennen, aber mit 35 die Infantilitätsgrenze noch nicht überwunden haben“. Sprachs, fügte einen Schwank aus seiner Abiturzeit hinzu und blickte zufrieden in das „interessierte Berliner Publikum“, das dieser mehrdeutigen Lektion in Sachen lebendiger Theatergeschichte erschrocken applaudierte. Petra Kohse