„Wir wollen im Frühjahr 1997 entscheiden“

■ Wilfried Voigt (Bündnisgrüne), Staatssekretär im schleswig-holsteinischen Energieministerium, zum Betrieb des AKW Krümmel und Leukämiefällen in der Elbmarsch

taz: Heute oder morgen entscheidet das Oberverwaltungsgericht (OVG) Schleswig-Holstein über das Wiederanfahren des AKW Krümmel, in dessen unmittelbarer Nachbarschaft nunmehr schon elf Kinder an Leukämie erkrankt sind.

Wilfried Voigt: Mein politischer Wunsch ist, daß Krümmel nicht wieder ans Netz geht. Die Forderung, das AKW bis zur Klärung des Leukämieverdachts abzuschalten, ist politisch berechtigt. Sie entspricht dem Druck der Indizien. Diese Indizien sind aber noch keine hinreichende Grundlage, auf der eine Aufsichtsbehörde atomrechtlich handeln kann.

Was konnten Sie denn als Staatssekretär für die Erfüllung Ihres politischen Wunsches tun?

In dem jetzigen Verfahren, in dem es nicht um die endgültige Stillegung, sondern um den Einsatz bestimmter Brennelemente geht, wenig. Wir haben keine neuen Erkenntnisse, die die Änderungsgenehmigung atomrechtlich begründet in Frage stellen würden. Wir haben aber deutlich gemacht, welcher Prüfumfang dem Genehmigungsverfahren zugrunde lag. Dies zu bewerten, ist Sache des OVG.

Sie konnten angeblich nichts tun, hoffen aber dennoch auf eine Stillegung durch das Gericht?

Möglicherweise gibt das OVG dem Antrag von Frau Backhaus mit der Begründung statt, daß der Leukämieverdacht erst im Hauptsacheverfahren aufgeklärt oder ausgeräumt werden kann. Wir nutzen unseren atomrechtlichen Spielraum maximal, aber dieser Spielraum ist gering. Vor allem haben wir jetzt für die weitere Aufklärung zu sorgen, damit wir gegebenenfalls auf dem Stand des Atomrechts handeln können.

Selbst das Bundesverwaltungsgericht hat Ihrer Genehmigungsbehörde attestiert, daß sie dem Zusammenhang zwischen Krebserkrankungen und AKW-Betrieb bei der Änderungsgenehmigung nicht hinreichend nachgegangen ist.

Das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts hat nicht die Änderungsgenehmigung für rechtswidrig erklärt. Es richtet sich vielmehr ausschließlich an das OVG. Das muß jetzt nochmals entscheiden, ob Schleswig-Holstein 1991 bei der Erteilung der Änderungsgenehmigung den Leukämieverdacht gegen das AKW hinreichend geklärt hat und ob die Genehmigungsbehörde eventuellen Störfällen ausreichend nachgegangen ist.

Das Urteil schließt doch Leukämie durch den Normalbetrieb keineswegs aus. Gerade die Grenzwerte werden in Frage gestellt.

Richtig! Deshalb gibt es den entsprechenden Prüfauftrag an das OVG weiter. Dieses soll klären, ob die Bundesregierung ihrer Aufgabe, die Bevölkerung zu schützen, mit den Grenzwerten der Strahlenschutzverordnung noch nachkommt. Auch wir werden prüfen, ob diese Grenzwerte heute noch angemessen sind.

Daß Krümmel bei Einhaltung der Grenzwerte Laukämieverursacher sein kann, ist doch in der Länder-Expertenkommission „Leukämie in der Elbmarsch“ hinreichend dargelegt worden.

Dort sind Thesen oder Indizien, die das AKW als Leukämieverursacher sehen, kontrovers behandelt worden. Die bisherigen Indizien ergeben nicht hinreichend, daß der Reaktor die Krankheiten verursacht hat. Aus dieser Lage wollen wir rauskommen.

Wie und wann soll das geschehen?

Man muß zumindest einen möglichen, nicht widerlegbaren Transferweg der Radioaktivität vom Reaktor hin zu den Bewohnern der Elbmarsch angeben können, bevor man aufsichtlich tätig werden kann. Diese weitere Aufklärung gehen wir jetzt mit drei Gutachten an – darunter ein meteorologisches, das das Mikroklima um das AKW untersucht und damit die Frage, ob bei bestimmten windstillen Wetterlagen die Emissionen von Krümmel konzentriert auf der gegenüberliegenden Elbuferseite niedergehen. Mit diesem Gutachten überprüfen wir die bisherigen Ausbreitungsrechnungen, die ja Bestandteil der für uns bindenden Dauerbetriebsgenehmigung sind.

Wird das wieder Jahre dauern?

Nein, wir wollen diese Studien etwa im Frühjahr 1997 abschließen und werden dann entscheiden, ob die Aufsichtsbehörde gegen den Normalbetrieb von Krümmel tätig werden kann. Interview: Jürgen Voges