Kein Mangel an Vertrauen

In letzter Sekunde gewinnt Alba Berlin gegen Piräus und darf auf weitere große Augenblicke in der Basketball-Europaliga hoffen  ■ Aus Berlin Matti Lieske

Als der Ball sieben Sekunden vor Schluß der Europaliga-Partie gegen Olympiakos Piräus zum 62:61 für Alba Berlin durch den Korb rauschte, konnte sich selbst der sonst so nüchterne Absender des goldenen Wurfes eines kleinen Lächelns nicht erwehren. Zusätzlich riß Wendell Alexis, dessen Dreipunktetreffer den nicht mehr für möglich gehaltenen Sieg gegen eine der besten Vereinsmannschaften Europas sicherstellte, jubelnd seinen Arm in die Höhe. „Er hat sich auch in dieser Hinsicht entwickelt“, sagte Trainer Svetislav Pesic später genüßlich über den zu Saisonbeginn aus Frankreich gekommenen US-Amerikaner, der auch zuvor als einziger Spieler überhaupt zuverlässig getroffen hatte. Neun seiner vierzehn Würfe, darunter fünf Dreier, fanden ihren Weg in den Korb, insgesamt gelangen Alexis 24 Punkte – in einem Spiel, das von unbarmherziger Abwehrarbeit und miserablen Trefferquoten geprägt war, eine beeindruckende Leistung.

Reichlich Grund zur Freude also für den 32jährigen, zumal er es gewesen war, der im verlorenen Heimspiel gegen Estudiantes Madrid den letzten Wurf auf den Korbrand gesetzt hatte. „Dafür ist er viel kritisiert worden“, sagt Pesic, „aber ich habe ihm vertraut.“ Vertrauen war nach dem zweiten gewonnenen Match gegen die Griechen – auch das Hinspiel in Piräus war sensationell an Alba gegangen – überhaupt das Lieblingswort des Coachs. Der wesentliche Unterschied zum Länderspiel vergangene Woche, als die deutsche Nationalmannschaft gegen Rußland verlor, sei gewesen, daß sich die Mannschaft heute vertraut habe, während sich die DBB-Auswahl aufgegeben habe: „Wir haben immer an unsere Chance geglaubt.“

Da waren sie so ziemlich die einzigen in der mit rund 9.000 Zuschauerinnen und Zuschauern prall gefüllten Max-Schmeling- Halle im Prenzlauer Berg. Olympiakos kontrollierte mit seinen ehemaligen NBA-Spielern David Rivers und Willie Anderson das punktarme Match, ohne allerdings einen größeren Vorsprung herausspielen zu können. Als es 16 Sekunden vor Schluß aber 61:56 für Piräus stand, konnte es kaum jemand den griechischen Fans verdenken, daß sie schon mit den Siegesfeiern begannen. Da machte es auch nichts mehr, daß der hervorragende Willie Anderson schon zehn Minuten vor Schluß mit fünf Fouls ausgeschieden war und ihr Team vier Freiwürfe in Folge danebenwarf – so dachten sie jedenfalls. Dann aber bekam Marco Pesic in der linken Ecke den Ball, warf ihn bildhübsch zum 59:61 in den Korb und wurde zudem gefoult. Ein Vorgang, über den der Coach von Piräus, Dusan Ivkovic, noch viel später fuchsteufelswild werden konnte. „In einer solchen Situation muß man klar und rein spielen“, wetterte er, „auf keinen Fall darf gefoult werden.“

Die Strafe für den Mangel an kalkuliertem Fairplay folgte auf dem Fuße. Statt Ballbesitz und damit den fast sicheren Sieg für die Griechen gab es einen Freiwurf für den Trainersohn Pesic, den dieser – unfreiwillig – vergab. Den Rebound schnappte sich Sascha Hupmann, zu dessen Einsatz in dieser Phase sich Svetislav Pesic erst „in letzter Sekunde“ entschlossen hatte, Alexis hatte seine große Sekunde, und der verzweifelte letzte Vorstoß von Rivers endete mit einem Fehlwurf: 62:61 für Alba Berlin.

Beide Teams benötigten eine Weile, um die überraschende Wendung der Dinge in ihr Bewußtsein dringen zu lassen. Willie Anderson stand noch lange nachdem seine Kollegen die Kabine aufgesucht hatten, auf dem Platz und starrte den Korb an, als könnte dieser ihm Aufschluß über die Merkwürdigkeiten des Basketball geben, und auch Henning Harnisch benötigte einige Verblüffungssekunden, bis er jubilierend die Pressetische stürmte und sich vom Publikum feiern ließ. Der Nationalspieler hatte maßgeblich zur elendiglichen Trefferquote seines Teams (knapp 37 Prozent) beigetragen, nur zwei Punkte durch Freiwürfe zustandegebracht und auch aus guten Positionen nicht getroffen. „So ist es eben“, sagte Pesic schmunzelnd, „gestern im Training hat er alles getroffen. Wendell gar nix.“ Auch Harnisch genoß jedoch das volle Vertrauen des Trainers, der ihn immer wieder aufs Feld schickte. „Alle erwarten spektakuläre Aktionen von Henning“, verteidigte Pesic seinen Spieler, aber in einem solchen Spiel gegen eine derart starke Defensive gäbe es eben keine Gelegenheiten zu Fast-Break und Dunking. „Er hat nicht getroffen, okay, aber alles, was er sonst gemacht hat, war sehr gut.“

Blieb die Frage, ob die Berliner durch den Doppelsieg gegen Piräus nun zu einer europäischen Spitzenmannschaft aufgestiegen seien. „Europäische Spitze!“ antwortete Pesic leicht höhnisch, „wir sind weit weg von europäischer Spitze. Wenn du zwei, drei Jahre vorne mitspielst, bist du europäische Spitze.“ Heute solle man damit zufrieden sein, daß man gegen ein Team wie Olympiakos Piräus in letzter Sekunde gewonnen habe und 9.000 Leute die Mannschaft noch minutenlang gefeiert hätten. Natürlich gelte es nun, diesen Sieg „auszunutzen“, sprich durch weitere Erfolge in der Europaliga, zunächst in Madrid und bei den Heimspielen gegen Zagreb und Bologna, möglichst lange die Chance zu erhalten, gegen die europäische Spitze, wenn man schon nicht dazugehört, wenigstens zu bestehen. Daß Alba Berlin dazu in der Lage ist, daran hat Svetislav Pesic keine Zweifel: „Ich habe mehr Vertrauen in die Mannschaft als sie selbst.“