Karma Sutra

■ Hippies zu Hipstern: Donovan wurde wieder vors Mikro gerufen. Mit etwas Hilfe von Sappho und Laotse fängt er noch mal den Wind

Wie macht der Mann das bloß? Ist es nur Charisma? Weckt er brachliegende Instinkte? Oder die Kunst der Schmeichelei, die sich nicht als solche zu erkennen gibt? Steckt seine Begeisterungsfähigkeit an? Fragen, die auf der Hand liegen, wenn man zu ergründen versucht, warum Rick Rubin seit einiger Zeit ein gewisses Renommee bei der Reaktivierung verschollen geglaubter oder kreativ fehlgeleiteter Songveteranen genießt. Die Antwort ist womöglich: Der Produzent und Chef des American-Labels führt die ihm Anvertrauten einfach an einen geliebten Ort aus ihrer Vergangenheit.

Einen Tom Petty auf dem Weg in die Midlife-crisis macht er wieder zum glühenden Plattenfan, der sich mit wachsender Begeisterung durch die CD-Stapel hörte, die Rubin über Wochen anschleppte, um sich anschließend mit dem proppereifen Meisterwerk „Wildflowers“ zu bedanken. Einen Johnny Cash jenseits von Gut und Böse pflanzte Rubin für die American Recordings nur mit einer Gitarre vor ein Mikro, so wie damals, als alles anfing in den Sun-Studios zu Memphis, mit Elvis, Carl und Jerry Lee.

Und an welchen Ort hat Rubin nun seinen neuesten Kunden geschleppt? „Rick sagte: Laß uns in die Buchläden gehen“, sagt Donovan Leitch, der aussieht wie Bioleks Prodigal Son, wenn er lächelnd den Mund verzieht. „Er sagte: ,Zeig mir die Bücher, die du gelesen hast damals.‘ Und ich zeigte ihm die Bücher, die mich zu Songs wie ,Atlantis‘ inspiriert hatten. Und Rick sagte: ,Gibt natürlich jede Menge neue Bücher. Aber warum versuchst du es nicht noch mal mit den alten?‘“

Der Antiquariatsbummel blieb für das neue Donovan-Album „Sutras“, sein erstes Studiowerk seit über zehn Jahren, nicht ohne Folgen nekrophiler Natur. Tote Koautoren haben jedenfalls den Vorteil, daß sie schweigen und zu allem ja und amen sagen. So verarbeitet „Be Mine“ ein Gedicht der griechischen Poetin Sappho aus dem 7. Jahrhundert; das vergleichsweise düstere „El Dorado“ bedient sich einer Erzählung von Edgar Allan Poe; und für das schmissige „The Way“ beerbte Donovan kurzerhand das Tao von Laotse. „Zen-Buddhismus bringt mich immer zum Lachen“, verkündete der jetzt 50jährige, der Interviewpläne nur dann absegnet, wenn genügend Meditationspausen Platz finden.

Die ökologisch verbrämte Liebeslyrik, die durch Songs wie „Give It All Up“ und „Everlasting Sea“ wabert, wird davon nicht besser. Und ist halbwegs erträglich nur, weil diese vertraut-helle Stimme sich über die Jahre ihren dünnen Glanz erstaunlich gut erhalten hat. Diese Stimme war es nicht zuletzt, die Rick Rubin schon als Teenager zum glühenden Donovan-Fan machte. Rubin, berichtet Donovan sichtlich geschmeichelt, habe seine alten Platten immer jungen Bands (wie den Red Hot Chili Peppers) vorgespielt und dabei geschwärmt, so wolle er Platten machen, insbesondere Stimmen aufnehmen – „ohne Effekte, ohne Echo“.

Rubins Aura der Hipness, die auch Johnny Cash vom alternden Loser in einen teeniekompatiblen Ruler of the Cool zurückverwandelte, soll nun auch Donovan das Comeback via Imagetransfer bescheren. Schon Anfang der siebziger Jahre, nach einem Indientrip mit den Beatles, nach zig Hitsingles („Catch The Wind“, Mellow Yellow“, „Jennifer Juniper“ etc.) und ausverkauften Großarenen, hatte sich der gern in Magisches, Mystisches und Mittelalterliches verstrickte „Märchenerzähler der Popmusik“ („Rock-Lexikon“) erstmals zurückgezogen.

Selbst einen Fünf-Millionen- Dollar-Deal schlug der gebürtige Glasgower damals in den Wind, um mit seiner Teenager-Liebe Linda Lawrence und – bald – drei Kindern bei Astrologie, Vegetarismus und Buddhismus einsiedeln zu können – zunächst in der kalifornischen Wüste, später und auch heute noch in Irland, wo inzwischen vier Leitch-Generationen (fast) unter einem Dach leben. „Wir sind eine Zigeunerfamilie“, sagt Donovan, der nach dem 83er- Album „Lady Of The Stars“ endgültig schwieg und rückblickend den schönen Satz spricht: „Der Planet war verwundet und ich persönlich auch.“

Erst seit Beginn der Neunziger hatte er wieder versucht, neue Songs bei großen Firmen ins Gespräch zu bringen. Vergeblich. Der Tenor der Adressaten: Finden wir gut, können wir aber nicht vermarkten. Außerdem, so Donovans Erkenntnis, müßten heute, im Corporate-Age, „erst mal 20 Leute abstimmen“, bevor irgendwas laufe. Wie gut also, daß da noch dieser Typ hartnäckig immer wieder anklopfte, der sich nicht nur als ausgewiesener Donovan-Fan zu erkennen gab, sondern obendrein noch als eine Art Phil Spector und David Geffen in Personalunion. Donovan: „Rick ließ einfach nicht locker. Mit dem müsse ich sprechen, sagte meine Frau.“

Die Donovan-Renaissance lag ohnehin in der Luft, geht man davon aus, daß Coverversionen jüngerer Musikanten ein sicheres Indiz für eine Wiederentdeckung sind. Mit „Season Of The Witch“, neu interpretiert von den Velvet- Underground-Adepten Luna, und „Sunshine Superman“ (von Neo- Hippie-Göre Jewel) tauchten kürzlich gleich zwei alte Donovan- Songs ausgerechnet im Soundtrack zum Film „I Shot Andy Warhol“ auf.

Zuvor hatten schon die texanischen Hardcore-Freigeister Butthole Surfers seinen „Hurdy Gurdy Man“ (Donovan: „Metal-Folk“) ausgegraben. Und auf einem kanadischen Tribute-Album wurde gar der supersofte Morgentau-Evergreen „Colours“ als, ähem, „Grunge“ umgedeutet. Was „o.k.“ geht mit dem Urheber, der zunächst „ja keine Ahnung hatte“, daß sich da Jungspunde über sein Werk hermachen (bis sie ihm ihre Tapes schickten), und radikale Frisierungen jetzt dahingehend deutet, daß das Neue schon im Alten (Original) angelegt gewesen sei. Nicht nur im Einzelfall – etwa weil die Kids nach der Led-Zeppelin- Wiederentdeckung irgendwann auf „Hurdy Gurdy Man“ (damals mit drei Viertel der noch nicht formierten Pionier-Rockband eingespielt) stoßen mußten –, sondern auch ganz prinzipiell. Donovan: „Sie denken vermutlich: Als du damals die Songs gemacht hast, hast du getan, was du mochtest. Und deshalb wirst du es uns auch nicht übelnehmen, wenn wir genau dasselbe jetzt mit deinen Songs tun. Und so ist es auch.“

Fragt sich nur noch: Warum, verdammt, verspürt Donovan – Rubin hin, Covers her – überhaupt wieder das Bedürfnis, neue Songs unters Volk zu bringen? Warum glaubt er, den Neunzigern eine Stimme geben zu können, so wie damals den Sechzigern und – bedingt – den Siebzigern? Vom „Impuls“ (eines seiner Lieblingswörter) ist dann die Rede, der so notwendig sei für sein Schaffen und eben lange nicht da war: „Es ist eine Sache, Folksongs in einem Folkclub zu singen – da wissen alle, worum es geht. Aber wenn du einen Folksong vor einem Poppublikum singst, haben sie erst mal keine Ahnung. Du kriegst einfach eine andere, neue Reaktion.“

Und dann spricht er noch vom „Samen“, der damals in den Sechzigern gelegt worden sei, von der Hippie- und Beatnik-Kultur. Der all die Jahre (vor allem diese widerlich gierigen Achtziger...) unter der Erde geschlummert habe und jetzt endlich ersprieße unter den Händen einer neuen, wachen Generation. Und dann hebt Donovan zu einer Eloge auf die gewichtige Stimme, die Minderheiten und Freaks aller Art heute in den Bildermedien bekommen hätten, was damals noch undenkbar schien. Auf Regierungen, die „plötzlich über Luft- und Ozonwerte und tote Flüsse“ informierten. Auf Ärzte, die Meditation statt Medikamente verordnen. Auf ein New Age und Informationszeitalter schließlich, das die Sorge ums richtige Essen in Hospitäler und Schulen trage. Donovan: „Das alles schlummerte und kommt jetzt raus. Weil unsere Generation erwachsen geworden ist und wir selbst Kinder haben.“

Betroffenheitsstriptease à la Schreinemakers und Talkshows aller Couleur als Apotheose aller Blumenkinderwünsche? Donovan – „ein Verkäufer von Hoffnungen“ (frühere Selbsteinschätzung) macht's möglich. Jörg Feyer

Donovan: „Sutras“. (American Recordings/RCA)