In Teheran spurlos verschwunden

Der iranische Schriftsteller Faradsch Sarkui wollte von Teheran zu seiner Familie nach Hamburg fliegen. Dort kam er nie an. Bereits im August wäre er fast Opfer eines „Unfalls“ geworden  ■ Von Thomas Dreger

Berlin (taz) – Wo steckt Faradsch Sarkui? Der iranische Journalist und Literaturkritiker wollte am vergangenen Sonntag – seinem 49sten Geburtstag – von Teheran nach Deutschland fliegen. Eine Bekannte brachte ihn zum Flughafen, doch Freunde, die ihn in Deutschland empfangen wollten, warteten vergeblich.

Sarkui ist Chefredakteur von Adine. „Eine Literaturzeitschrift“ nennt er selbst sein Medium. Tatsächlich ist das monatlich mit etwa 30.000 Exemplaren in Umlauf gebrachte Druckwerk viel mehr: Der Versuch im Iran einen intellektuellen Diskurs über Politik, Kultur und Gesellschaft am Leben zu erhalten, trotz der restriktiven Gesetze und ungeschriebenen Verbote der Islamischen Republik. Häufig geht so etwas nur noch zwischen den Zeilen, literarisch verschlüsselt. Doch das ist immer noch viel deutlicher als in den meisten anderem Medien des Landes.

Hinter den Redaktionstüren von Adine fallen die Worte offener, als sie dann in der Zeitung zu lesen sind. Hier wurde maßgeblich jener offene Brief formuliert, in dem im Oktober 1994 134 Intellektuelle und Publizisten von der Regierung Meinungsfreiheit einforderten. Es wurde diskutiert, was noch toleriert werde und was die Unterzeichner direkt in den Kerker bringen würde. Einige potentielle Unterzeichner sprangen ab, Sarkui blieb dabei. Er spiele „mit dem Feuer“, hieß es danach von Leuten, die ihm nahestehen.

Die Flammen könnten Sarkui jetzt verbrannt haben. Eigentlich wollte er am 3. November um 8.45 morgens in einem Flugzeug der Iran Air von Teheran in Richtung Hamburg abheben. Eine Bekannte, die ihn zum Flughafen gebracht hatte, erfuhr jedoch kurz vor dem Start, wegen Problemen mit der Ausreisegenehmigung könne Sarkui erst einen Flug der Lufthansa nach Frankfurt um 1.30 am Montag morgen nehmen.

Intellektuelle im Iran leben gefährlich

Später hieß es dann von ähnlicher Stelle, Sarkui habe doch noch die Maschine nach Hamburg erwischt. Nach Angaben seiner in Deutschland lebenden Freunde ist Sarkui auf keinem der beiden Flughäfen angekommen.

Grund zur Sorge besteht zur Genüge: Kritische Schriftsteller und Intellektuelle leben im Iran gefährlich. „Ich muß immer damit rechnen, daß mich ein Auto überfährt oder mir ein Stein auf den Kopf fällt. Danach wird dann von einem ,tragischen Unfall‘ die Rede sein“, beschreibt einer die Gefährdungslage. „Wir haben keine Sicherheit. Man erwartet jederzeit ein Vorkommniß“, sagte Sarkui selbst der taz noch im vergange- nen Frühjahr. Er sehe „keine Möglichkeit, sich individuell zu schützen.“

Nach Berichten aus dem Iran soll Sarkui gemeinsam mit 20 Kollegen im August beinahe einem „Unfall“ zum Opfer gefallen sein, eine Busreise der Schriftsteller zu einer Veranstaltung im benachbarten Armenien hätte leicht tödlich ausgehen können. Mitten in der Nacht soll der Fahrer des gecharterten Busses in den Bergen angehalten haben und ausgestiegen sein – ohne die Handbremse zu ziehen. Das Fahrzeug rollte bereits führerlos eine Bergstraße hinunter, als einer der Passagiere die Gefahr erkannte und rechtzeitig die Handbremse zog.

Nach dieser Reise wurde Sarkui mindestens zweimal verhaftet. So am 28. August, als er mit fünf anderen iranischen Schriftstellern in der Teheraner Wohnung des Kulturreferenten der deutschen Botschaft, Jens Gust, saß. Iranische Geheimdienstler sprengten die informelle Runde, schlossen den Diplomaten in einem Zimmer ein und nahmen die Literaten mit. Bei den anschließenden Verhören wäre den Festgenommenen „Verbindungen zur Opposition im Ausland“, „moralische Verdorbenheit“, „illegale politische Aktivitäten“, „die Absicht, die Regierung zu stürzen“ und „Spionage für Deutschland“ vorgeworfen worden, berichtet Sarkuis Frau Faride.

In Zusammenhang mit der letzten Anschuldigung sei auch vom Berliner „Mykonos-Prozeß“ die Rede gewesen: „Alles Anschuldigungen, die im Iran für eine Hinrichtung reichen.“ Die Frauenrechtlerin weiß, wovon sie redet: Seit über einem Jahr lebt sie mit ihren beiden Kindern in Deutschland – als anerkannter politischer Flüchtling. Ihr Ehemann hatte seine Familie zu seinem Geburtstag besuchen wollen.