So kritisch wie die Polizei erlaubt

■ Heute tagt der Untersuchungsausschuß „Hamburger Polizei“ zum letzten Mal: Haben zwei Jahre Arbeit und 57 Sitzungen die „Mauer des Schweigens“ aufgebrochen? Ein Streitgespräch zum Polizeiskandal mit Ulrich Karpen (CDU), Hakki Keskin (SPD) und Manfred Mahr (GAL)

taz: Rechtsradikalismus, Mißhandlungen, Scheinhinrichtungen: Die Liste der Vorwürfe gegen die Hamburger Polizei ist lang. Bei einigen Mißhandlungsfällen kam es inzwischen zum Prozeß. Hat der PUA Polizei mehr gebracht als eine Bestätigung der Gerichtsurteile?

Ulrich Karpen (CDU): Der PUA hat genau das geleistet, was seine Aufgabe war: Er hat die politischen Hintergründe aufgeklärt. Der Rücktritt des Innensenators Hackmann und die Suspendierung des Einsatzzuges Mitte sind nie Gegenstand eines Strafverfahrens gewesen. Ebenso Führungs-, Betreuungs- und Ausbildungsmängel. All das hat der PUA aufgeklärt.

Manfred Mahr (GAL): Der PUA hat deutlich gemacht, zu welchen Auswüchsen politische Aufträge wie das „Disziplinieren“ der Sternschanzen-Szene durch Sondereinsatzzüge geführt haben.

Hakki Keskin (SPD): Ich habe mir auch schon sehr oft die Frage gestellt, was der PUA eigentlich gebracht hat. Kann man angesichts des Aufwandes, der Zeit und der Arbeit mit den Ergebnissen zufrieden sein? Da habe ich meine Zweifel. Wir haben nichts Neuartiges entdeckt.

Mahr: Das sehe ich anders. Daß es eine Mauer des Schweigens gab, daß es zu diesen schweren Mißhandlungen gekommen ist, daß Hardliner eingesetzt und von Vorgesetzten gedeckt wurden – all das steht jetzt immerhin im PUA-Mehrheitsbericht. Den lehnen wir als GAL wegen seiner windelweichen Bewertungen und vielen Mängel zwar ab, aber trotzdem gestehen dort SPD, CDU und Statt Partei einen schlimmen Zustand der Polizei ein. Das wäre vor zwei Jahren noch undenkbar gewesen.

Keskin: Aber Herr Mahr, schon Senator Hackmann hat bei seinem Rücktritt genau diese Gründe genannt, nämlich Korpsgeist, Mauer des Schweigens und rassistische Tendenzen. Und selbst diese Aussagen werden im PUA-Bericht noch relativiert, als ob Herr Hackmann durchaus sein Amt hätte weiterführen können. Mit einem solchen Ergebnis habe ich Bauchschmerzen.

Karpen: Der PUA-Bericht ist die gründlichste Bestandsaufnahme der Arbeit einer Großstadtpolizei am Ende des 20. Jahrhunderts. Ein Teil der Probleme ist Hamburg- spezifisch. Wir haben in Hamburg rechtsradikales Handeln und Denken in mehr als nur Einzelfällen festgestellt. Ob das auch für andere Großstädte zutrifft, wissen wir nicht, denn dort gab es bisher keine so intensive Untersuchungsarbeit. Auch haben wir vieles im Zusammenhang mit dem Rücktritt Hackmanns nicht gewußt: Zum Beispiel, daß der Innensenator ein Umfeld hatte – einen Staatsrat und eine Polizeiführung –, das ihn über Anzeichen von Rechtsradikalismus nicht informierte.

Keskin: Aber der primäre Anlaß, nämlich rechtsradikale Tendenzen – der Fall Dialle D. – wird in dem Bericht völlig marginalisiert und verharmlost.

Karpen: Herr Keskin, dem kann ich nicht folgen. Wir haben in dem Mehrheitsvotum ganz klar gesagt: Die Polizei ist zwar nicht durch die Bank rechtsradikal ...

Keskin: Das hat ohnehin nie jemand behauptet ...

Karpen: ... nicht die gesamte Polizei ist ausländerfeindlich, aber es handelt sich doch um mehr als nur Einzelfälle. Wir sagen, daß es eine latente ausländerfeindliche Tendenz, zumindestens auf einzelnen Wachen und in einzelnen Einsatzzügen, gegeben hat. Und es hat auch eine unzulässige und unerträgliche Verrohung der Sprache und Verhaltensweisen gegeben. Eine Ausweitung dieser Erkenntnisse auf die gesamte Polizei ist aber nicht zulässig.

taz: Neigt die Polizei mehr zu Rassismus und Gewalttätigkeit als die übrige Bevölkerung?

Karpen: Rechtsradikale Tendenzen sind nicht stärker als bei der Gesamtbevölkerung, nur ist es schlimmer, weil Polizeibeamte Amtsträger sind und im Auftrag des Staates Macht ausüben.

Mahr: Wir wissen letztlich nicht, ob die Polizei überdurchschnittlich ausländerfeindlich ist. Aber die Polizei zieht natürlich Menschen an, die sich in hierarchischen Strukturen gerne wiederfinden. Die Neigung zu einem bestimmten Ordnungsdenken und Weltbild muß ja gar nicht rechtsradikal sein, aber die Wahrscheinlichkeit ist möglicherweise höher.

Keskin: Zum Thema Ausländerfeindlichkeit möchte ich den PUA-Bericht zitieren: „Die Hamburger Polizei ist insgesamt nicht rechtsextremistisch.“ Okay, ohne Zweifel, das hat aber auch kein Mensch behauptet. „Unmittelbar nach dem Rücktritt von Innensenator Hackmann stand die Annahme im Raum, in der Hamburger Polizei gebe es rechtsradikale Zellen. (...) Das hat sich nicht bestätigt.“ Und so geht es im Bericht weiter. Was hier gesagt wird, ist völlig uneindeutig. Der Senator, der sechs Jahre lang dieses Amt geführt hat, sagt, es gibt rassistische Tendenzen, und wir negieren es und schwächen ab. Damit helfen wir auch nicht der Polizei. Wir müßten eigentlich klare, deutliche Signale setzen.

taz: Hat der PUA die Staatsanwaltschaft nicht verhältnismäßig ungeschoren davonkommen lassen?

Keskin: Das Verhalten der Staatsanwältin Marion Zippel, die bei der Mißhandlung von Dialle D. rassistische Motive kategorisch ausschloß und die – unbewiesene – Alkoholisierung der Polizisten strafmildernd bewertete, wird im PUA-Bericht überhaupt nicht problematisiert, sondern nur auf eine sehr mittelbare und verständnisvolle Weise kritisiert. Das ist der Sache wirklich nicht dienlich.

Karpen: Das sehe ich anders. Wir rügen die Staatsanwaltschaft an zwei Stellen ziemlich deutlich. Im Fall Dialle D. hat sie nicht alle Ermittlungsmöglichkeiten ausgeschöpft. In mehreren anderen Verfahren gegen Polizeibeamte sagen wir im Mehrheitsbericht, daß eine Hauptverhandlung statt eines Strafbefehls richtiger und sachangemessener gewesen wäre. Wir gehen sogar noch einen Schritt weiter und empfehlen, daß in Polizeisachen grundsätzlich die Staatsanwaltschaft die Ermittlungen an sich ziehen und führen muß. Und in bezug auf Frau Zippel sagen wir: Sie hat wenig sensibel gehandelt.

Keskin: Aber das ist genau mein Punkt: Nach zwei Jahren Untersuchungsarbeit zu einer kleinen Rüge für Frau Zippel zu kommen, ist mir zu wenig.

Karpen: Aber sonst hätten wir sagen müssen, sie hat nicht in Übereinstimmung mit der Strafprozeßordnung gehandelt. Und das stimmt einfach nicht.

Keskin: Wenn man von falschen Prämissen ausgeht, komme ich auch zu falschen Ergebnissen. Und das hat Frau Zippel getan. Wäre sie nicht von Anfang an der Auffassung gewesen, daß rassistische Motive keine Rolle gespielt hätten, wäre sie zu einem anderen Ergebnis gekommen.

Mahr: Die PUA-Mehrheit hat sich geweigert, die Staatsanwaltschaft zu kritisieren. Frau Zippel war doch kein Einzelfall. Man kann formal die Rechtsordnung erfüllen und das Recht trotzdem beugen.

taz: Könnte so etwas wie mit Dialle D. heute wieder passieren?

Karpen: Die Aufmerksamkeit ist inzwischen so geschärft, daß eine schlechtere Behandlung von Ausländern im Vergleich zu Deutschen nicht mehr zu befürchten ist.

Keskin: Der PUA hat sicher geholfen, die Polizei zu sensibilisieren. Ich schließe allerdings nicht aus, daß so etwas wie die Mißhandlung von Dialle D. noch einmal passieren könnte.

Mahr: Derzeit haben nach meinem Eindruck diejenigen das Sagen, die sensibler sind. Aber: Wenn keine einschneidenden Konsequenzen folgen und keine unabhängige Kontrollinstanz für die Polizei eingerichtet wird, dann bin ich pessimistisch.

taz: Welches Frühwarnsystem brauchen wir jetzt, damit die Uhr bei der Hamburger Polizei nicht wieder zurückgedreht wird?

Karpen: Ich bin Optimist und glaube an die nachhaltige Wirkung des PUA. Zu der Mauer des Schweigens: Es muß normal werden, daß ein Polizeibeamter inakzeptables Verhalten von Kollegen meldet, ohne daß ihm daraus ein Strick gedreht wird. Dann muß die Weitervermittlung solcher Vorfälle nach oben unkompliziert laufen, so daß sofort etwas getan werden kann. Die Aus- und Fortbildung muß verbessert werden; einzurichten sind eine feste Sprechstunde des Polizeipräsidenten und möglicherweise auch ein Ausschuß des Parlaments.

Keskin: Immer wieder wurden Strukturprobleme angesprochen: Daß es keine unabhängige Instanz gibt, an die Polizisten sich wenden können, ohne Nachteile befürchten zu müssen. Wir brauchen aber eine solche Kontrollstelle.

Mahr: Ein Ansprechpartner für Polizeibeamte ist das eine. Der andere wichtige Punkt ist aber, daß es auch für die Opfer eine Anlaufstelle geben muß. Gerade Polizeiopfer mit geringer Beschwerdemacht – das zeigt die Erfahrung – haben Angst, bei der Polizei Anzeige gegen andere Polizisten zu erstatten.

Moderation: Silke Mertins