Schiffe versenken

Tanzen, trinken und ausspannen kann man am besten auf dem Wasser: Ein Rundgang durch Cafés und Restaurants auf schwankenden Boden von  ■ Detlef Kuhlbrodt

Eigentlich ist Berlin wunderbar, und je länger man hier lebt, desto besser gefällt es einem. Nur eines fehlt der Stadt auf dem Weg zum metropolisch Urbanen: Wasser. Großstädtisch verbinden sich Wasser und Stein eher selten; so im Moabiter Industriegebiet am Westhafen, an der hochromantischen Autoverschrottungsanlage in der Neuköllner Ziegrastraße, für ein paar Meter auch an der vor allem nachts hochromantischen Museumsinsel oder (eher schon im Umland) draußen an der Havel.

Am besten ist es allerdings an der Oberbaumbrücke. Wo Kreuzberg sich verliert und Friedrichshain noch nicht so recht anfängt, wo man sich im Zentrum am Rande fühlt, ist Berlin am großstädtischsten. Grad in der Nacht.

Grün leuchtet drüben BP; hohe Speicher erinnern daran, daß hier auch mal viel Industrie war; gelbe Straßenlampen verteilen ihr ostheimeliges Licht. Schön ist die Brücke, spiegelglatt liegt die Spree, die hier mehrere hundert Meter breit ist. Wenn man von der Oberbaumbrücke Richtung Kreuzberg guckt, leuchtet die „Sanssouci“ so bunt-geheimnisvoll wie Jahrmarkt für Kinder.

Seit einem halben Jahr ist das ehemalige Flaggschiff der „Weißen Flotte“ Café, Restaurant und angesagte „Location“ für allerlei House- und Techno-Partys. Im Oberdeck gibt es eine weitläufige helle Bar mit tausend rotbezogenen Stühlen. Am Rand steht die Skulptur „Fernglas“ von Werner Klotz, die zum „interdisziplinären Kunstprojekt am Uferareal zwischen Jannowitz- und Elsenbrücke“ gehört. Durchs linke Glas guckt man durch, im rechten spiegelt sich das eigene Auge sehr spacig und überlagert im Kopf den Speicher am anderen Ufer.

Im Unterdeck wird getanzt. Schön getanzt, gut getanzt. Wer über 1,80 ist, muß eben achtgeben. Sympathisch schaut die Kreuzberger Techno-Szene zwischen angenehmen Bässen herüber. Die Light-Show ist angemessen einfach, was den Back-to-the-roots- Partycharakter der Veranstaltungen unterstützt, und obgleich es nicht allzu voll ist – es gibt auch Tage, da schwankt das Schiff unter der Last der Tanzenden – fühlt man sich mindestens doppelwohl auf superangenehmen Bänken.

Die „Sanssouci“ ist klasse, und es gibt nicht nur Techno-Partys, sondern sonntags ab 15 Uhr auch Tanzkurse. Ab 16 Uhr spielt das „Salonorchester Inflagranti“ zum „Tanz unter Niveau“. Außerdem feierte hier auch schon Erich Honecker seine Partys.

Auch am Landwehrkanal, am Carl-Herz-Ufer zwischen Baerwald- und Admiralsbrücke, überwiegt das Gutfinden. Ein Obdachloser schiebt, als käme er aus einem Film über New York, seine Sachen in einem Einkaufswagen durch die Gegend und sammelt Flaschen aus den Papierkörben. Ab und an fahren Stadtrundfahrtsschiffe vorbei. Kinderrufe hallen über den Landwehrkanal. Herbstwarmer Wind fährt einem kitschig in die Haare.

Hier im Urbanhafen liegt die 1914 in Groningen gebaute „Van Loon“. Draußen sitzen Leute auf Bänken. Drinnen, neben dem Kachelofen, kommt man sich sehr wohnzimmerlich vor. Durchs Dach kann man nach oben gucken. Das ist schön wie das gepflegte Holz und gemütlich mit Blaubeerkuchen. Ich trinke Bier; der Nebentisch ordert Alkoholfreies. Angestellte des „Deutschen Instituts für Normung“ wollen hier Bockwurstesser kann auch Punk nicht verschrecken

einen Tisch bestellen. Das Essen soll hier sehr gut sein. Der junge Geschäftsführer heißt Michael Wittler und sagt: „Ich bin zwar hier Geschäftsführer, aber von meinen Kollegen nimmt mich sowieso keiner ernst.“ Ob das wohl stimmt? Zuweilen wasche er auch schon mal ab. Die Pik-As, ein Fünfziger- Jahre-Stadterklärungsdampfer aus der DDR, der etwas versteckt hundert Meter weiter an der Admiralsbrücke liegt, ist ihm etwas zu prollig. Andere finden die „Pik-As“ inzwischen zu szenemäßig, „wie die Ankerklause halt“. Was auch Blödsinn ist.

Früher war die alte „Pik-As“ eine Eckkneipe in Schiffsform. Vor zwei Jahren verpachtete die Reederei Riedel sowohl die „Ankerklause“ als auch das Schiff. Während die „von den Leuten vom Wiener Blut“ betriebene Ankerklause ihr Publikum in kürzester Zeit fast vollständig austauschte und mittlerweile zur oft überfüllten Kreuzberger Szenekneipe geworden ist, geht es in der „Pik-As“ gemächlich-gemischter zu. „Die alte Kundschaft wird man nicht so schnell los“, meint Dorothee am Tresen. „Die Futschitrinker, Bockwurstesser, Bulettenverschlinger lassen sich auch nicht durch Punkmusik verschrecken.“

Die „Pik-As“ ist wahrscheinlich das angenehmste Café in Kreuzberg. Herbstlich betrübt etwa kommt man und bestellt: einen Milchkaffee, einen Pfirsichkuchen und einen Weinbrand. Und schon ist man wieder fröhlich.

Während die „Van Loon“ an ein gutbürgerliches Wohnzimmer erinnert, wirkt der Gastraum der „Pik-As“ großzügig und wie eine gelungene Mischung aus sozialistischem Resopalcharme und den verspielt-bunten Elementen Kreuzberger Szenekneipen. An der Decke zieht ein Schwarm bunt selbstleuchtender Fischlein vorbei. Der Boden ist gewellt, weil's schöner so ist.

Rotweiß gestreift sind die Tischdecken. Im Hintergrund erzählt jemand, daß Elche zwei Minuten lang tauchen könnten. Über dem stets aktuellen Zeitungs- und Zeitschriftensortiment hängt ein lächelnder Delphin. Delphine sind die Freunde der Menschen. „Bring mir noch mal einen Weinbrand!“

„Dann haben wir auch noch unseren guten Hausgeist hier: Onkel Werner. Den haben wir geerbt. Der kommt jeden Tag, trinkt ein paar Büchsen Bier und füllt den Wassertank auf.“ Zuweilen gibt es auch Partys, „kann durchaus auch mal Techno dabeisein. Ansonsten: querbeet.“ Irgendwann sprechen wir über „Aldi“.

„Privat kaufen wir gerne bei Aldi ein“, sagt Dorothee. „Der Champagner macht's möglich. Paar Sachen sind echt klasse.“ Früher hatte sie sich „mal überlegt, ein Aldi-Restaurant aufzumachen. Also nur Aldi-Sachen. Das könnte ich mir schon total lustig vorstellen.“

Am Steg lebt eine Schildkröte. Schiffe fahren vorbei. „Berliner Prolls, die Asche haben. Stolz wie Harry, und keiner ist glücklich. Die ziehen immer so 'ne Fresse.“ Wie schön wird das Alter sein, denkt man dagegen beim Weinbrand mit Kaffee, und am schönsten ist der Sonnenuntergang am Fenster des Schiffes. Gleich ist man sehr bewegt von den schönen klaren Abendfarben, und es ist auch viel interessanter, in den Himmel zu schauen, als etwa Fernsehen, und am Rande riecht es in Andeutungen schon nach Winter, und während es so schön sonnenuntergangt, denkt man über die wichtigen Dinge des Lebens nach. Detlef Kuhlbrodt

MS Sanssouci: Gröbenufer, täglich ab 12 Uhr

Van Loon: Baerwaldbrücke, 52°30'N; 13°16'O; Mo.–So. 10–1 Uhr

Pik-As: Urbanhafen, an der Admiralbrücke, Öffnungszeiten: 13–1, Wochenende: 10–1 Uhr