Behandlungspflicht hat ihre Grenzen

Mediziner und Juristen debattieren, ob es ein individuelles Recht auf selbstbestimmtes Sterben gibt  ■ Von Matthias Fink

„Immer mit einem Bein im Gefängnis?“ Die makabre Frage, auf Ärzte oder Altenpfleger gemünzt, klingt angesichts der strengen Maßstäbe des Strafrechts nicht so abwegig. „Tötung auf Verlangen“ ist strafbar – und kann nach Ansicht mancher Juristen sogar durch Unterlassen begangen werden. Erst vor einigen Monaten verhängte das Berliner Landgericht eine entsprechende Bewährungsstrafe. Der Verurteilte hatte seine lebensmüde Partnerin, die durch einen Selbstmordversuch bereits bewußtlos war, nicht gerettet – so wie sie es gefordert hatte.

Solche Urteile empören den Humanistischen Verband Deutschlands (HVD), der sich für das Recht auf selbstbestimmtes Sterben einsetzt. Gita Neumann, Berliner Diplom-Psychologin, ist Bundesbeauftragte des HVD für Patientenverfügung und Sterbebegleitung. Sie beklagt, daß nicht nur Ärzte unter der Rechtsunsicherheit litten. „Das geht auf Kosten der Schwächsten. Denn daß Ärzte und Schwestern mit Gefängnis bedroht werden, belastet die Schwerkranken zusätzlich.“ Dabei habe die Tötung auf Verlangen eher theoretische Bedeutung. „In der Praxis sind vielmehr die Fälle der passiven Sterbehilfe das Problem.“ Wie legitim ist etwa eine Schmerzlinderung, die in ihrer Konsequenz das Leben verkürzt?

Wichtige Hilfen zur straflosen Orientierung am Willen der Todgeweihten sind die Bevollmächtigung und das Patiententestament. Im ersten Fall erteilt man in gesunden Tagen einer Vertrauensperson eine Vorsorgevollmacht. Diese entscheidet dann im Ernstfall, wenn der Patient sich nicht äußern kann, ob er beispielsweise an ein lebensverlängerndes Dialysegerät angeschlossen wird. 1992 wurde diese Vollmacht ins Bürgerliche Gesetzbuch aufgenommen – als Alternative zur Entmündigung.

Wer keine Vollmacht geben möchte, kann sich mit einem Patiententestament an das medizinische Personal wenden. Derartige Anweisungen, etwa das Verbot, künstlich ernährt zu werden, werden allerdings im Krankenhaus nicht als rechtlich bindend angesehen. Und ein bloßes Papier mit der Verfügung helfe den Medizinern bei ihrer Abwägung wenig, meint Gita Neumann. „Es bedarf eines menschlichen Ansprechpartners.“ Hausärztin oder Angehörige können besser beurteilen, wie das Geschriebene gemeint ist.

Den Einwand, die Schwerkranken könnten von der früheren Erklärung abgerückt sein, sieht Neumann nicht als schwerwiegend an. Man dürfe den Menschen doch nicht das Selbstbestimmungsrecht über ihren Tod absprechen. Außerdem ermittelt der HVD durch eine ausführliche Befragung die allgemeinen Wertvorstellungen derjenigen, die er bei einer solchen Erklärung berät. Hieraus weiß Neumann, daß ältere Menschen meist gefestigte Ansichten hätten. „Natürlich gibt es Leute, die sehr am Leben hängen. Die kämen aber ohnehin nicht auf die Idee, eine Patientenverfügung abzufassen.“ Zur Sicherheit empfiehlt der HVD, die Unterschrift vor Zeugen zu leisten und mindestens alle fünf Jahre zu bekräftigen.

Die Diskussion ist in den letzten Monaten durch spezielle Kommissionen der Ärztekammern vorangekommen. Auf Bundesebene diskutiert die Ärztekammer noch über Änderungen bei den Sterbehilfe-Richtlinien von 1979. Die Berliner Ärztekammer veröffentlichte im September ihre Empfehlungen zu den „Grenzen der Behandlungspflicht“. Der Internist Helmut Becker hat als Mitglied der Ethikkommission daran mitgearbeitet. Obwohl Meinungsverschiedenheiten – etwa zur künstlichen Ernährung – nicht durch dieses Papier zu beenden seien, hält er einen Katalog für wichtig. „Die Ärzte müssen besser geschult werden: Wann hört meine Behandlungspflicht auf? Wann verletze ich dabei sogar die Menschenwürde des Patienten?“ Gleichwohl zieht er eine scharfe Trennlinie: „Bei der Frage, ob Ärzte oder Betreuungspersonal auf Verlangen töten dürfen, darf es keine Aufweichung geben. Unsere Vergangenheit ist zu belastet, als daß wir der Ärzteschaft diese Möglichkeit wiedereröffnen dürften.“

Am 15./16. November veranstaltet der HVD im Haus am Köllnischen Park, Am Köllnischen Park 6-7, 10179 Berlin, den Kongreß „Patientenautonomie und Humanes Sterben – Erfahrungen, Argumente, Visionen“, Kongreßbeitrag: 120 Mark, Tel.: 6139040