Ewige Jagdgründe für Füchse und Igel

■ Friedhöfe dienen in der Innenstadt auch als ökologische Oasen und beherbergen mehr Tierarten als Parks. Frischluft und Sonnenschein zwischen alten Gräbern und Blumen

Anna Goldhammer und Meta Siebel* leben gesundheitsbewußt. Jeden Tag marschieren die 85jährigen zum nahe gelegenen Dorotheenstädtischen Friedhof und nehmen dort Platz auf einer alten Gartenbank. Kommt die Sonne um die Mittagszeit über die Friedhofsmauer zu Besuch, schließen die alten Damen gerne die Augen und genießen das bißchen Natur in der City. „Wo sollen wir auch sonst hin“, moniert Siebel. Außer dem Friedhof gibt es in Mitte weit und breit kein schönes Fleckchen im Grünen. „Hier stinkt's nicht, und überall sind frische Blumen“, pflichtet ihre Freundin bei. Früher hätten sie sich mit fünf, sechs anderen Frauen hier getroffen. Leider liegen die meisten mittlerweile unter der Erde, und die beiden Freundinnen zupfen manchmal Unkraut von ihren Grabstätten. Traurig finden sie den Ort dennoch nicht, denn „schließlich muß ja jeder mal in die Grube“, bringt es die frühere Hausangestellte Siebel auf den Punkt.

Nicht nur die beiden älteren Frauen haben den Wert des Friedhofs als Erholungspark für sich erkannt. Auch Umweltschützer und Naturliebhaber wissen mittlerweile, wie wertvoll die Totenacker als Grünflächen in der Stadt sind. 1.100 Hektar groß ist die gesamte Fläche aller Berliner Friedhöfe, die in Betrieb sind. Dazu kommen nochmals 28 stillgelegte Grabfelder. Allen gemeinsam ist, daß auf ihnen Flora und Fauna prächtig gedeihen. Besonders im Sommer, wenn die Parks in der Stadt voller Menschen sind, bieten die Friedhöfe Füchsen, Igeln und Mardern wertvolle Rückzugsgebiete. Auf dem Friedhof der Weddinger Heilandsgemeinde am Plötzensee ist zum Beispiel ein Fuchs Stammgast. „Wenn ich zur Arbeit komme, geht der meistens gerade zum Tor hinaus“, erzählt Ernst Puppe von der Friedhofsverwaltung.

Auch auf dem Parkfriedhof in Neukölln, einen Steinwurf vom Britzer Garten entfernt, herrscht ein wildes Treiben, was nicht zuletzt daran liegt, daß tierliebe Mitmenschen dort Futter verteilen. Igel und Füchse werden mit Bananen und Katzenfutter versorgt, Eichhörnchen mit Nüssen. Gerade ältere Leute machen sich einen Sport daraus, die Tiere durch Füttern handzahm zu machen.

Wissenschaftlich erforscht wurden Friedhöfe in ihrer Funktion als Biotope bislang nur wenig. Anfang der achtziger Jahre wurden im Rahmen einer Dissertation herausgefunden, daß die Totenacker in der Regel wesentlich artenreicher sind als Parkanlagen in vergleichbarer Größe. Kirchhofmauern, Efeugräber, Komposthaufen und Gehölzpflanzungen bieten ideale Lebensräume für Vögel, Insekten und anderes Kleingetier. Am wohlsten fühlen sich Flora und Fauna auf verwahrlosten Friedhöfen. In abgestorbenen Bäumen nisten Fledermäuse, Moose und Flechten dürfen nach Lust und Laune wachsen.

Bedroht wird der Bestand an Tier und Pflanzen daher vor allem durch die historische Restaurierung der Grabanlagen. Die Landesbehörde für Naturschutz und Landschaftspflege hat deshalb schon 1985 ein Informationspapier herausgegeben, daß Denkmalschützer und Friedhofsverwalter sensibel für die Belange der Natur machen soll. Darin wird unter anderem gefordert, daß Efeu, Moose und Farne möglichst wild sprießen sollen. Abgestorbene Gehölze dürfen nach Meinung der Naturschützer nicht auf dem Komposthaufen landen.

Abgesehen von Fledermäusen, Moosen und Insekten lieben auch seltenere Vögel wie Nachtigallen und Zaunkönige die Wildnis auf dem Friedhof. Für die scheuen Tiere ist weniger das Katzenfutter aus Omas Hand wichtig, sondern die Möglichkeit des Rückzugs in absolute Ruhe. Das gilt übrigens auch für Menschen. Wenn Anna Goldhammer und Meta Siebel auf ihrem Bänkchen in der Sonne sitzen, dann hören sie den Lärm der Großstadt wenigstens einmal am Tag aus sicherer Entfernung. Und das hält die beiden jung. Christine Berger

* Namen von der Redaktion geändert