Kulturmeile Totenacker

Auf den 240 Berliner Friedhöfen liegen viele Prominente. Doch der Erhalt der historischen Grabstellen ist in den meisten Fällen ein Wettlauf mit der Zeit  ■ Von Christine Berger

Wer das Gaslicht in Berlin eingeführt hat oder als erstes Mittel und Wege fand, den grünen Star zu heilen, offenbart nicht nur das Lexikon, sondern auch der Friedhof. Auf insgesamt 240 Grabanlagen liegt in Berlin so ziemlich jeder begraben, der früher in der Stadt Rang und Namen hatte. Viele Friedhöfe entstanden im 19. Jahrhundert, damals weit vor den Toren der Stadt. Heute sind die meisten Gottesacker von Häusern umzingelt, Leben und Tod wohnen Tür an Tür.

Längst gehen nicht mehr nur Trauernde zwischen den Gräbern spazieren. Daß Grabsteine architektonisch wie historisch reizvoll sind, hat sich herumgesprochen. So besuchen ganze Reisegruppen regelmäßig den Dorotheenstädtischen Friedhof in Mitte, um die Grabstätten von Bertolt Brecht, Helene Weigel, Heiner Müller und Hanns Eisler zu besuchen.

Auch der Friedhof am Halleschen Tor in Kreuzberg ist beliebtes Ausflugsziel. Hier liegt unter anderem der Dichter und Schriftsteller E.T.A. Hoffmann begraben, der mit drittem Vornamen eigentlich Wilhelm hieß. Aus Liebe zu Mozart wechselte er diesen jedoch in Amadeus um, was aber seine Freunde nicht davon abhielt, trotzdem an dem Buchstaben W. in der Grabinschrift festzuhalten.

Geschätzt wird der Friedhof zwischen Zossener Straße und Mehringdamm nicht nur wegen der vielen Dichter und Musiker, die hier liegen, sondern auch wegen seiner alten Grabarchitektur. Auf dem 1735 angelegten Friedhof gibt es tatsächlich noch etliche Gruften aus dem 18. Jahrhundert zu besichtigen. Baumeister Wenzeslaus von Knobelsdorff etwa wurde hier 1753 beerdigt. Er war unter anderem für den Bau von Schloß Sanssouci verantwortlich und leitete den Bau des Berliner Opernhauses.

Daß so manches reich geschmückte Grab auch ein gefundenes Fressen für Kunstdiebe ist, macht vor allem den Mitarbeitern der Denkmalpflege Sorgen. Vor einem Jahr wurde auf dem Friedhof am Halleschen Tor die dreißig Zentimeter hohe Mamorbüste des 1870 verstorbenen Augenarztes Albrecht von Graefe geklaut. Mit Spendengeldern konnte jetzt Ersatz geschaffen werden. Graefe schaut künftig in Form von Gips auf die Besucher herab. Er war es übrigens, der zum ersten Mal in der Lage war, den grünen Star zu operieren.

Wieviel Aufwand früher manchmal für ein statthaftes Begräbnis der Angehörigen betrieben wurde, zeigt der russisch-orthodoxe Friedhof in Tegel. Dort ließ der Erzpriester Aleksey Petrowitsch 1894 insgesamt 4.000 Tonnen Erde aus 50 Regionen Rußlands ankarren, damit die Verstorbenen in heimatlichem Boden ruhen konnten. Interessant ist der Friedhof auch wegen der prachtvollen Gräber der Emigranten, die nach dem Zusammenbruch des Zarenreichs in Berlin eine neue Heimat fanden. Prunk, an dem der Zahn der Zeit mitunter kräftig nagt. Nicht nur auf dem russischen Friedhof entpuppt sich die Instandhaltung von bedeutetenden Grabstellen als Wettlauf mit der Zeit. Auf dem jüdischen Friedhof in Weißensee hat sich in weiten Teilen des 42 Hektar großen Areals der Verfall breitgemacht. Denkmalspfleger und Friedhofsverwaltung versuchen, die schlimmsten Schäden zu lindern. So ist der Friedhof nun in Kategorie 1, 2 und 3 eingeteilt. Die Bereiche, die zur letzteren Kategorie gehören, bleiben der Natur überlassen, weshalb der jüdische Friedhof nicht nur für Kulturinteressierte, sondern auch für Liebhaber wilder Vegetation eine Oase ist.

Wer sich für jüdische Friedhofskultur interessiert, sollte etwas Vorwissen mitbringen. Fast jedes noch existierende Grab wird von Symbolen geschmückt. Ein abgebrochener Baum etwa bedeutet, daß dort ein junger Mensch begraben liegt, eine abgebrochene Säule erinnert gemäß der Bibel daran, daß Jakob an Rachels Grab eine Säulenruine errichten ließ.

Auf dem 1880 eingeweihten jüdischen Friedhof waren um die Jahrhundertwende rund 115.000 Grabstellen belegt. Ein Rondell am Eingang erinnert heute an die sechs Millionen Juden, die in den Vernichtungslagern ermordet wurden. Oft wurden Menschen, die ihre Angehörigen auf dem Friedhof besuchen wollten, auf dem Gelände verhaftet und in den Tod geschickt.

Weil die Landesdenkmalpfleger zur Erhaltung der Totenacker kaum Geld haben, werden jetzt auch unorthodoxe Wege zur Finanzierung beschritten. Zur Instandsetzung von Garnisons- und Invalidenfriedhof beantragte der Leiter der Gartendenkmalspflege, Klaus von Krosigk, erstmals Lottogelder. Der Mann hat Glück gehabt: Rund 3,5 Millionen Mark sind seiner Behörde bewilligt worden. Tippgemeinschaften können sich darauf einstellen, daß in Zukunft wohl noch öfter ihr Geld auf dem Friedhof landet.

Literaturtip: Klaus Hammer: „Historische Friedhöfe und Grabmäler in Berlin“. Stattbuch Verlag, 1994, 44 Mark