Reiz demokratischer Wahlen verflogen

Slowenien, das Musterland des Balkans, wählt morgen ein neues Parlament. Die stärkste Partei bringt es gerade einmal auf 15 Prozent. Die meisten Wähler sind noch unentschlossen  ■ Aus Ljubljana Erich Rathfelder

Das Wahlfieber hat die Menschen in Novo Mesto, einer Kleinstadt im Süden Sloweniens, noch nicht so richtig gepackt. Auf dem von Barockfassaden umrahmten Marktplatz der Altstadt bleiben nur wenige Spaziergänger vor den Plakaten mit den ewig lächelnden Gesichtern der Kandidaten stehen. Dabei wäre ein genauerer Blick angebracht, um sich in der Flut des Angebots zurechtzufinden. Für die Parlamentswahlen sind immerhin 171 Parteien und Listen mit über 1.300 Kandidaten angetreten, die um die 90 Sitze im Parlament des Staats am südlichen Rand der Alpen kämpfen.

Der Reiz demokratischer Wahlen ist für viele Menschen in Slowenien verflogen. Noch bei den letzten Wahlen 1992 war das Land von dem Ereignis elektrisiert. „Wir sind eben eine normale Gesellschaft in einem normalen Staat geworden“, sagt ein Lehrer. Nach all den dramatischen Ereignissen mit der Ausrufung der Unabhängigkeit im Juni 1991 und den darauf folgenden, zehn Tage währenden Krieg, nach den Flüchtlingsströmen aus Kroatien und Bosnien, nach dem tiefen Fall der Wirtschaft, die sich erst in den letzten drei Jahren wieder zu erholen beginnt, ist diese Gelassenheit erstaunlich.

Immerhin, Slowenien ist der einzige Nachfolgestaat im ehemaligen Jugoslawien, in dem eine funktionierende Demokratie entstanden ist. Keine Partei kann über die gesamte Macht im Staate verfügen. Und auch nach diesen Wahlen nicht.

Nach den bisherigen Umfragen erreicht die stärkste Partei, die Liberale Demokratie Sloweniens (LDS), die während der letzten vier Jahre mit Janez Drnovsek den Regierungschef stellte, gerade einmal 15 Prozent der Stimmen. Die anderen konkurrierenden Parteien, die Slowenische Volkspartei SLS (8,9), die Sozialdemokratische Partei Sloweniens SDS (8,0), die Gemeinsame Liste der Sozialen Demokratie, also die ehemaligen Reformkommunisten, ZLSD (6,8), die Slowenischen Christdemokraten SKD (6,1) und die die Slowenische Nationale Partei SNS (3,3), liegen bisher nach einer Umfrage der Tageszeitung Delo sogar unter der Zehn-Prozent-Marke. Dagegen seien fast 40 Prozent der Wähler noch unentschieden. Um die Unentschiedenen wird mit harten Bandagen gefochten. So sorgten Gerüchte über eine Liste von über 400 Persönlichkeiten, die – nach dem Staatspräsidenten als Kucan-Clan definiert – im kommunistischen System mit dem ehemaligen jugoslawischen Geheimdienst UDBA zusammengearbeitet haben sollen, für Aufregung. Daß diese Gerüchte aus dem Lager der Sozialdemokratischen Partei Sloweniens lanciert wurde, überraschte in der Öffentlichkeit nicht. Deren Vorsitzender, der ehemalige Verteidigungsminister Janez Jansa, will den Machtwechsel erzwingen. Ihm gelang es mit Unterstützung der katholischen Kirche, zwei andere konservative Parteien auf ein gemeinsame Regierungsbündnis nach den Wahlen einzuschwören. So gaben sich Christdemokraten, die sich im Aufwind befindliche Volkspartei unter dem jungen Parteiführer Marjan Podobnik und die Jansa- Partei das Wort. Das bedeutet für die Christdemokraten immerhin, ihre seit 1992 existierende Koalition mit den Liberalen aufzugeben. Da aber ruchbar wurde, daß die Unterstützung des Klerus auch mit Forderungen nach Rückgabe von verstaatlichtem Kirchenbesitz verbunden ist, setzte eine Gegenreaktion ein. Davon profitiert die antiklerikale Nationale Partei unter ihrem Vorsitzenden Zmago Jelincić.

Die hohe Prozentzahl der Unentschiedenen läßt vermuten, daß das slowenische Parteiensystem kaum die gesellschaftlichen Interessensgruppen repräsentiert. Als die Parteien Anfang der 90er Jahre gegründet wurden, herrschte der Wunsch nach politischer Veränderung vor, sagt Lev Kreft, Vizepräsident des Parlaments und Mitglied der Linken Gemeinsamen Liste. Jetzt sei die Zeit reif für die Bindung der Parteien an soziale Interessen. Zum Teil habe dieser Differenzierungsprozeß schon stattgefunden, erklärt Professor Niko Tos, der seit Jahrzehnten den politischen und sozialen Wertewandel untersucht. Die Liberale Partei sei von jungen Aufsteigern, der städtischen Mittelklasse und ihren Werten getragen, während die konservativen Parteien eher in den ländlichen Regionen verankert seien. Dabei sei es der Volkspartei gelungen, sich stärker als Anwalt der kleinen Gewerbetreibenden und Landwirte ins Spiel zu bringen. Die Reformkommunisten hätten ihre Basis in den Gewerkschaften und einem Teil des Managements, während die Jansa-Sozialdemokraten in städtischen konservativen Mittelschichten ihre Anhängerschaft habe. Die rund 130.000 arbeitslosen Slowenen fühlen sich wohl zu Recht nicht adäquat repräsentiert.